Schischkin, Michail
gehen
könnten, sagst Du. Von mir aus. Dann kriegst Du eben anstelle von Briefen
dieses Büchlein, wenn wir uns das nächste Mal sehen.
Folgendes
ist mir passiert. Ich trank nach dem Konzert ein Glas eiskaltes Wasser. Ich
wusste, dass man das nicht soll, hatte es aber hundertmal zuvor getan, ohne
dass etwas passiert wäre. Die ganze Nacht hatte ich Schüttelfrost. Am Morgen
begann es im Hals zu kratzen. Ein schreckliches Gefühl, wenn man merkt, dass
man krank wird. Schnupfen. Ich wickelte einen Schal um, schluckte Aspirin,
trank Lindenblütentee mit Zitrone. Es besserte sich ein wenig. Rieb mir die
Brust mit Dachsfett und Wodka ein. So lag ich da bis zum späten Nachmittag.
Wanja Delasari kam mich zum Auftritt im Jar abholen. Sonniges Wetter. Wanja
schlug vor, bis zur Sedmaja Linija zu Fuß zu gehen. Den Sredni-Prospekt entlang
ist das ein Katzensprung. Doch ich war ganz wacklig auf den Beinen. Erst jetzt
merkte er, dass etwas nicht stimmte mit mir, und erschrak: »Vielleicht solltest
du heute lieber nicht singen? Wir finden Ersatz.« Ach!, dachte ich fuchsig,
damit sind sie aber schnell! Ersatz? Für mich? Wer soll das bitte schön sein?
Nein, sagte ich mir, ich werde singen, egal in welchem Zustand - ob mit Angina,
vereiterten Mandeln oder Fieber. Man kann ja immer ein bisschen Akzente
verschieben, die indisponierte Stimme ausgleichen durch mehr gestischen
Ausdruck, Temperament - so, dass das Publikum nichts merkt. Wenn nicht singen,
dann eben mimen! Wir nahmen eine Droschke und fuhren hin. In der Garderobe
träufelte ich mir wie immer ein Tröpfchen Atropin in jedes Auge. Das erzeugt
Scheinwerfer! Schon während der zweiten Romanze merkte ich, wie das Fieber
über mich kam. Rauschen im Kopf, schmerzende Schläfen, die Kehle macht, was sie
will. Ich sah und hörte nichts mehr, sang blindlings zu Ende. Spürte nur die
Tränen über die Wangen rollen. Was einen gehörigen Eindruck auf das werte
Publikum machte. Dabei waren die Tränen echt, aber die Leute dachten: welch
göttliche Mimin! So viel Applaus hatte ich lange nicht.
Zu Hause
wurde der Arzt gerufen. Er untersuchte ausgiebig Hals, Nase und Ohren, nahm
einen Abstrich. Ich konnte inzwischen nur noch röcheln: »Und? Was ist?« -
»Wollen Sie die Wahrheit hören?« Mir wurde schwarz vor den Augen. »Sieht böse
aus. Eine Stimmbandentzündung.« - »Aber was mache ich nun?«, flüstere ich.
»Ich muss doch singen. Konzerte geben!« - »Von wegen. Sie müssen sich kurieren
und sonst gar nichts. Nicht mal sprechen ist erlaubt, wenn Sie die Stimme nicht
ganz verlieren wollen.«
Das war
gestern. Ein grässlicher Tag! Und erst die Nacht. Ich saß da und heulte. Hatte
am Ende nicht mal mehr Tränen. War wie vor den Kopf geschlagen. Betäubt,
entleert von Sinn und Gefühl.
Lieber
Gott, warum hast Du mich so gestraft? Was habe ich verbrochen? Warum das,
wozu?
Heute nun
kamen sie alle gerannt - Epstein, Wanja, später auch Klawa und Maja, die nun an
meiner statt singen wird. Sie barmte und bedauerte mich am meisten, doch es
gelang ihr schlecht. Da schwang viel Freude mit in dem Bedauern, sie konnte
ihre Glückseligkeit kaum verhehlen. Iossif sagte, dass ein gewisser Poljakow
mir bestimmt helfen würde, die HNO-Koryphäe
in ganz Piter. Der habe Sobinow vor dem Schlimmsten bewahrt. Alle Größen lassen
sich von ihm behandeln. Epstein ist ein Schatz! Er hat mich schon bei ihm
angemeldet. Normalerweise dauert es Monate, bis man drankommt: Sänger haben
einen gesunden Hals nötiger als das tägliche Brot. Aber Iossif hat alle Hebel
in Bewegung gesetzt und eine Konsultation am Freitag erwirkt! Das ist
übermorgen.
Nun sind
alle wieder weg, und ich bin allein. Das heißt: allein mit Dir, Serjosha! Du
fehlst mir so sehr - Deine Worte, Deine Stimme! Wie gut täte es, Du könntest
mir ins Ohr flüstern, dass alles gut wird. Das wird es doch, oder? Ich werde
wieder singen, nicht wahr?
Ich werde.
Ich muss.
Mitten in
der Nacht. Es geht mir immer schlechter. Das Schlucken tut weh, jeder Atemzug
kratzt an der Luftröhre und treibt mir die Tränen in die Augen vor Schmerz.
Husten ist dazugekommen.
Serjosha,
mir geht es so mies, und Du bist so fern! Ich möchte Dich umarmen und muss mit
einer Umarmung meiner Knie vorliebnehmen. Ich bin stark, zu allem fähig, aber
die Hauptsache, Serjosha, kann ich nicht: Ich kann mich nicht selbst umarmen
und streicheln. Wie sehr wünschte ich, dass Du an meiner Seite wärest, möchte
mich bei Dir anschmiegen, meinen Kopf in Deine
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