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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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schrecklich
für meinen Körper - als Kind war ich mit heißem Wasser verbrüht worden, an der
Brust und am Hals. Ich mummte mich immer so ein, dass es keiner sah. Ins
Schwimmbad und an den Strand ging ich im hochgeschlossenen Badeanzug. Dabei
wäre ich so gerne gewesen wie alle. Darum habe ich auch mit Rauchen angefangen,
weiß ich noch. Alle Mädchen rauchten schon, nur ich nicht. Meine Freundin
hatte mir öfters eine angeboten, ich immer abgelehnt. Bis ich einmal im Park
einfach Zugriff. Beim ersten Versuch zu ziehen bekam ich einen Hustenanfall.
Eine alte Frau blieb stehen und schaute uns zu, kopfschüttelnd. Und brüllte
dann, dass die ganze Straße es hörte: »Dafür werdet ihr im Jenseits dem Teufel
den Puller lutschen!«
    Frage: Wo genau
ist denn die Haut verbrüht? An welcher Stelle?
    Antwort: Das zeige
ich nicht.
    Frage: Über dem
Kopfende vom Sofa gab es ein Bücherregal. Sie zog einen Bildband heraus und
blätterte darin. Plötzlich fragte sie: »Wieso hat sie einen Nabel?« - »Einen
Nabel? Wer?« Sie zeigte mir eine Doppelseite mit Adam und
Eva von Cranach. Tatsächlich hat die Eva da einen Nabel. Ich
schrieb mir das damals gleich auf. Ich hatte so ein dickes Notizbuch und fand
es wichtig, alles aufzuschreiben. Auch, wie sie den Bildband abgelegt hatte:
sich über die Hüften, sodass es wie ein Minirock aussah.
    Antwort: Ich lebte
und nahm mich gar nicht wahr. So ist Kindheit. Bis zu dem Moment, wo du merkst:
Du kannst dir nicht selbst genügen, du musst gefallen. Oder besser gesagt: Du
musst nicht nur, du willst es selbst, um jeden Preis. Allen gefallen, die da
sind: Männern, Frauen, dem Spiegel, der Katze, den Mitreisenden im Bus, den
Wolken, dem Wasser aus dem Wasserhahn. Es ist, als würde dir ein riesiger Sack
aufgebürdet, und dann gibt man dir einen Stoß: Lauf! Mit der Last kommst du
keine zwei Schritte weit. Ich mochte mich nicht. Mich und meinen Körper. Nicht
auszuhalten! Dass ich überhaupt körperlich existierte, war ein Graus. Wie
unangenehm, Brüste zu haben. Eine einzige Pein, sichtbar zu sein, und das jeden
Tag! Und da war nichts zu machen! In irgendeinem Buch hatte sich die Heldin die
Wimpern mit der Nagelschere gestutzt, worauf sie ihr so üppig sprossen, dass
man mehrere Streichhölzer darauf legen konnte. Ich tat es ihr nach, aber was da
nachwuchs, war betrüblicher als zuvor.
    Frage: Einmal im
Gespräch, ich weiß nicht mehr, worum es ging, sagte ich zu ihr, die Existenz
Gottes sei nicht beweisbar. Ach woher denn, widersprach sie, nichts leichter zu
beweisen als das. »Dann tu es!«, sagte ich. Man brauche dafür nicht mehr als
eine Zeile, behauptete sie nach kurzem Schweigen. Und sie deklamierte einen
Vers aus irgendeinem Gedicht, in dem es hieß, ein Vogel sei das Kreuzchen, das
Gott um den Hals trage. »Braucht es noch weitere Beweise?«, fragte sie
lachend, und ich sehe es vor mir, wie sie in dem Moment stehen blieb - wir
waren spätabends an der Strandpromenade unterwegs -, sich auf der Schräge der
granitenen Uferbefestigung niederließ und dann, von einer Gesäßbacke auf die
andere schaukelnd, noch ein Stück tiefer rutschte.
    Antwort: Ich hatte
das Gefühl, als entwüchse meiner Körperoberfläche etwas, das mir fremd war,
nicht zu mir gehörte. Als wäre ich das eine Wesen, und diese Frau, die da aus
mir hervorwuchs, ein anderes. Ich errötete ständig und wusste nicht, wie damit
umgehen. Es brauchte mich nur jemand anzusprechen, und ich war wie gelähmt,
blickte erschrocken drein, immer glaubte ich, mit meiner Kleidung müsste etwas
nicht in Ordnung sein. Wie ein Blitz konnte es in mich fahren - ob etwa die
Strumpfhosen rutschten? Ich fühlte mich nackt, wusste nie, was ich sagen
sollte, nur die Hände schwitzten mir. Abends vor dem Einschlafen heulte ich in
Mamas Kissen, und sie versuchte mich zu trösten: »Sei doch kein Trauerkloß! Sei
fröhlich!«
    Frage: Wir fanden
keinen Ort zum Unterkriechen, liefen stundenlang einfach nur durch die
Straßen. Ein altes Weiblein vor dem Eingang zur U-Bahn verkaufte Kirschen in
einem beschlagenen Konservenglas. Wir kauften sie und wollten uns irgendwo
niederlassen, aber alle Bänke waren noch vom Regen nass, wir liefen weiter bis
zu einem leeren Kinderspielplatz mit kaputter Schaukel. Ich stellte meine
Tasche mit den Schulbüchern auf dem Rand des Sandkastens ab, setzte mich
daneben, sie sich auf meine Knie. Wir aßen die Kirschen, sie waren überreif,
der Saft tropfte. Erst spuckten wir die Kerne in den Sand, der eine

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