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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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das, was fürs Leben bleibt und mitwächst wie ein in die Rinde
geschnittenes Wort, das weißt du doch.
    Antwort: Aber das
ist doch alles völlig unwichtig.
    Frage: Wie kann
es unwichtig sein, wenn es doch in dir ist und du daraus bestehst. Einmal als
kleines Mädchen fandest du unter Mamas Kopfkissen ein Präservativ, vollgestopft
mit irgendwelchen zerknüllten Lappen. Mama war in der Küche, Abendbrot machen.
    Erst
wolltest du sie fragen, was das ist, aber plötzlich bekamst du Angst davor und
fragtest doch nicht.
    Antwort: Ich
erinnere mich, aber das ist alles wirklich nicht wichtig.
    Frage: Und was
ist wichtig? Wie du das Märchen von den drei Schwestern spieltest, Einäuglein,
Zweiäuglein und Dreiäuglein, und dir ein drittes Auge auf die Stirn maltest?
    Antwort: Das ja.
    Frage: Und was
noch?
    Antwort: Der Doktor
verschrieb mir Salzabreibungen am Morgen. Was mir natürlich nicht behagte, aber
Mama rührte jeden Morgen eine Meersalzlösung an, nahm den Schwamm und rieb mich
ab. Und einmal, ich hatte mich in der Schulpause mit den Freundinnen
gestritten, weiß schon nicht mehr, weswegen, saß die nachfolgende Stunde
einsam, unglücklich und für niemanden zu gebrauchen in meiner Bank - da leckte
ich mir zufällig über die Hand und schmeckte das Salz auf meiner Haut. Mich
durchrieselte eine seltsame Empfindung. Es gibt ja anscheinend Menschen auf der
Welt, so mein Gedanke, denen diese Salzabreibungen meiner Haut etwas bedeuten.
Oder gar nicht mal die Salzabreibungen - ihnen liegt etwas an mir! Aber da
reime ich mir wohl jetzt etwas hinzu, damals leckte ich nur an meiner Haut, und
es schmeckte nach Salz und nach Liebe.
    Frage: Dann
erzähle doch mal, wie die Mutter ihre Männerbesuche hatte, während du in der
Küche Hausaufgaben machen musstest, und irgendwann kam Mama im Morgenrock mit
nichts darunter ins Bad geflitzt.
    Antwort: Der eine,
Onkel Slawa, war ganz lustig, Mama liebte ihn sehr. Aber ohne Liebe ging es bei
ihr eigentlich nie ab. Deswegen mochte sie auch nicht in den Ferien in den
Süden fahren. »Von wegen kurze Urlaubsaffären«, so sagte sie, »man bleibt
kleben und verliebt sich.« Onkel Slawa sagte immer seltsame Sachen. Einmal zum
Beispiel saßen wir bei Tisch, und ich wollte nichts essen. Mama zu mir: »Jetzt
stell dich nicht so an und iss!« Aber ich mochte nicht. Da hat Onkel Slawa mich
in Schutz genommen: »Lass sie, Tanja, der Mensch ist doch kein Darmrohr!« Und
ein andermal beim Essen klärte er Mama darüber auf, wie die Welt eingerichtet
ist. »Wir Männer sind Sklaven unserer Hormone«, sagte er, »die schießen ins
Blut, die schlagen aufs Hirn, da kannst du nichts machen, wir werden
missbraucht! Gott schürt die Glut mit unseren Leibern! Und warum liegt es im
weiblichen Instinkt, für den Mann zu sorgen wie für ein Kind? Weil die Menschen
Hunderttausende von Jahren, also praktisch die längste Zeit, in Gruppenehe
lebten, und die mannbar gewordenen Kinder wurden zu Geliebten ihrer Mütter. So
ist der Liebhaber einer Frau immer zugleich ihr Kind. Schreib dir das hinter
die Ohren!«, Letzteres augenzwinkernd in meine Richtung. Mama, wie gesagt,
liebte ihn sehr. Er war verheiratet und kam zu Mama einmal die Woche, immer freitags.
Mama erwartete ihn sehnsüchtig, kochte etwas Leckeres, schminkte sich. Das
Rotlackieren ihrer Fingernägel durfte manchmal ich übernehmen. Die Finger
müssen aussehen wie Kirchenkerzen, sagte sie: fahl und schmal, mit den flammenden
Nägeln obenauf. Ich mochte es, zu ihr ins Bett zu kriechen, mich dort gemütlich
einzurollen, anzuschmiegen und vor dem Einschlafen noch ein bisschen zu
plaudern. Oder sie las mir etwas vor. Auch noch, als ich größer war. Da waren
es schon keine Kinderbücher mehr, sondern etwas von dem, was gerade auf ihrem
Nachttisch lag - irgendwelche Romane oder Horoskope. Ich weiß noch, einmal
hatte sie aus einem Horoskop herausgelesen, dass Onkel Slawa und sie nicht
zueinander passten, da war sie ganz bestürzt. »Aber hier, Mammilein, sieh mal«,
suchte ich sie zu trösten, »dafür geht mit Stier und Steinbock alles glatt!« -
»Ich will aber den Löwen - ihm die Mähne kämmen, die Ohren kraulen.« Über ihrem
Bett hing ein Bild von Gauguin. Oft lag Mama einfach nur da und schaute zu ihm
hoch - sie nannte es »mein Fenster«. Die halb nackten braun gebrannten Mädchen
unter Palmen sehe ich vor mir wie heute. »Ich bind mir eine Liane um die Hüfte
und mach mich davon«, lachte Mama, »weg von euren Wintern, ins tahitianische
Paradies.

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