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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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Gänsehaut
aus Wassertropfen hatte und voller Zigarettenkippen, Glasscherben und
Kronenkorken war, versuchten einen stehen gebliebenen, vom Regen halb
zerweichten Buddeleimersandkuchen zu treffen. Uns gegenüber stand, solange ich
denken konnte, ein Denkmal für die Gefallenen - das Standbild eines Soldaten
mit halb abgebrochenem Arm, der bestimmt einmal ein Sturmgewehr gehalten
hatte; aus dem Stumpf stach das Armiereisen hervor. Der gefallene Soldat
blickte aus leeren weißen Augenhöhlen schräg in die Höhe - in die nassen
Baumwipfel, aus denen es nachregnete, wenn ein Windstoß kam. Mit der noch
vorhandenen Hand bedeutete er jemandem, ihm zu folgen - vermutlich uns, denn
sonst war niemand da. Lasst uns auf diese Bäume klettern, so schien er uns
aufzufordern, dann sind wir dem Himmel näher! Da spuckten wir die Kirschkerne
nicht mehr in den Sand, sondern pressten sie zwischen den Fingern und ließen
sie, auf den Soldaten zielend, hervorglitschen, sodass sie
Kirschstreifschusswunden auf dem Gips - oder woraus immer er gemacht war -
hinterließen. Auch wir waren von Saft und Kernen besudelt, hatten Kirschhände.
Sie schoss gut, besser als ich, einmal traf sie ihn sogar ins Auge, wovon der
blinde Augapfel eine Kirschpupille davontrug und der Soldat nunmehr scheel auf
uns herabsah, als ob: Ich bin für euch gefallen, he, und ihr beschießt mich mit
Kernen! Wir lachten uns kaputt und liefen weiter. Heute, nach so vielen Jahren,
weiß ich, dass die Gedanken des armlosen Gipssoldaten, während er uns hinterhersah,
ganz anders gingen: Ich fiel für die höhere Sache und wollte es so, und wenn
ihr jetzt auf mich schießt aus all dem regenfeuchten, liebestrunkenen Grün,
dann soll es wohl so sein, dann ist es wohl Bestandteil der höheren Sache...
    Antwort: Ich ziehe
mich aus, betrachte mich im Spiegel. Ein fremder nackter Körper inmitten des
Zimmers, auf kaltem Parkett. Dürre Missgestalt mit einem aufgesetzten Flicken
Froschhaut. Froschkönigin. Und an der Stirn prangt ein Stern. Ach was, kein Stern,
ein ganzes Sternbild: ein Pickel am anderen. Einer zeichnet sich auf der
Nasenspitze ab. Die Wangen verräterisch blass - bereit, im unpassendsten Moment
puterrot anzulaufen. An den Lippen Herpes, Folge einer Erkältung. Im Zimmer
zieht es, der Körper, ohnehin blausüchtig, fröstelt. Fährt man mit der Hand
darüber, fühlt es sich nirgends glatt an, überall schorfig und pickelig. Die
Brüste nicht größer als Nadelkissen, die Brustwarzen auch bloß wie Pickel so
groß. Am Bauch hat sich der Schlüpfergummi rot eingeprägt. Der Nabel hässlich
hervorgestülpt wie eine unreife Weintraube. Weiter unten - Haargekräusel. Lang
genug, daran zu ziehen. Wozu hat man dort Haare? Und dann diese Öffnungen, die
ohne Spiegel nicht einsehbar sind. Wie ist man zurechtgekommen, als es noch
keine Spiegel gab? Hat man sein Leben lang kein einziges Mal dort
nachgesehen?... Ich stehe da und denke: Dieser bläuliche Körper vor mir -
kluftig, höhlig, gänsehautüberzogen, keinem auf der Welt etwas nütze und am
allerwenigsten mir - bin das etwa ich? Und mal ehrlich, diese Haare zwischen
den Beinen, was soll ich damit?
    Frage: Wir waren
zu Besuch bei einem jungen Pärchen, beides Musiker, die gerade ein Kind bekommen
hatten, einen Jungen. Im Zimmer stand ein Flügel, Erbstück vom Großvater, der
Komponist gewesen war. Der frischgebackene Vater, Student am Konservatorium
und so alt wie ich, legte seinen Sohn auf den Deckel des Instruments zwischen
zwei Kissen und spielte. Anschließend windelte er das Kind, gleich auf dem
Flügel, auf einem untergelegten Stück Wachstuch. Wir schauten zu, wie geschickt
er sich dabei anstellte mit seinen langen Fingern. Und wie er dem Sohn mit
seinem Dreitagebart die Fußsohlen kitzelte.
    Antwort: Ich wollte
lieben - weiter wollte ich nichts. Ich war wie ein Glas, das gefüllt werden
wollte bis zum Rand. Oder ein Strumpf, der auf seinen Fuß wartet, um sich zu
verwirklichen. Denn was kann ein Strumpf sonst für einen Sinn haben, wenn nicht
den Fuß. Er ist für ihn gemacht - nach seinem Ebenbilde. Alles in mir war
bereit, doch es herrschte gähnende Leere. Und dann kamen die Sommerferien, in
denen ich mit Mama nach Jürmala fuhr. Wir waren übereingekommen, uns als
Schwestern auszugeben. Mama sah für ihr Alter sehr gut aus. Und da war ein
Lette, ein ganz junger Bursche noch, der mir sehr gefiel. Mama aber auch. Und
plötzlich, zum ersten Mal im Leben, kam zwischen uns etwas wie Frostigkeit auf.
Sie war

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