Schischkin, Michail
munteren Augen. Sie kommen wie auf ein Fest.
Und der
Anlass dieses Festes bin ich - mein Gott! Dabei sind sie es, die mir ein Fest
bereiten, nicht ich ihnen. Welch Glücksgefühl immer wieder, vor einem Saal zu
stehen, aus dem dir so viel Wärme entgegenschlägt, so viel Hoffnung,
Dankbarkeit, Liebe!
Dann gehst
du ab hinter die Kulissen, und das Märchen ist zu Ende, die Realität hat dich
wieder. Und die heißt, dass der Chauffeur betrunken ist, dass wieder mal die
falschen Fahrkarten gelöst wurden, dass das Hotel einen Rohrbruch hat.
Zum Glück
besteht die Truppe aus hervorragenden Leuten, Iossif sei Dank! Die richtigen
Leute aussuchen, das kann er. Er hat Trosman aus dem Bolschoi ergattert, dazu
Chaskin, Lanzman und Gladkow vom Jazzorchester. Göttliche Musiker! Und alle mit
dem nötigen Humor. Wer den nicht hat, der sollte mal versuchen, lebend von
einer Tournee zurückzukehren, bei der man beinahe täglich ein Konzert gibt und
in dreckigen Hotels übernachtet, wo es von Flöhen wimmelt!
Regelmäßig
vor den Toren einer neuen Stadt ging bei mir das Lampenfieber wieder los. In
solchen Momenten würde ich am liebsten, bevor ich auf die Bühne gehe, erst einmal
jeden Menschen in dieser Stadt einzeln aufsuchen, mir gewogen machen,
unterwerfen! Abends nach dem Konzert, beim Essen, sagt Gladkow dann jedes Mal:
»Na, Bellotschka, wieder mal ganz umsonst gebibbert! Die Stadt liegt uns zu
Füßen!« Und einmal meinte Chaskin zu mir: »Haben Sie denn immer noch nicht
gemerkt, dass es jedes Mal dieselbe Stadt ist, nur am anderen Ort?«
Nach dem
Konzert in Tula, als wir im Bahnhofsrestaurant saßen, trug Lanzman, schon
angetrunken, einen Vierzeiler vor: Und fragt mich Gott zuletzt
erbost: »Was tatest, Niete, du?« - sag ich: »Ich gab den müden Knechten Trost!«
Und Gott wird weinen bitterlich!
Großes
Gelächter. Erst behauptete Lanzman, es wäre von ihm selbst, gab dann aber zu,
dass er es von Garkawi habe.
Man wurde
nicht müde, die Verse zu repetieren, und lachte sich tot. Obwohl es doch
eigentlich zum Weinen ist.
Dann sitzt
du im Zug, schaust auf die vorbeiziehende Landschaft, Wälder und Felder, und
diese Zeilen gehen dir nicht aus dem Kopf.
Als Kinder
sind wir mit Vater zu Ausgrabungen in die Steppe gefahren, er hat uns die
Steinfrauen gezeigt, Grabhügelfiguren von rätselhafter Gestalt, zeitlos und
mysteriös. Solche habe ich in letzter Zeit durch das Zugfenster zur Genüge
gesehen. In ganz Russland, an jedem Bahnübergang stehen sie: ganz normale
Frauen, aber den steinernen wie aus dem Gesicht geschnitten, in Filzlatschen,
Wattejacken und grauen Tüchern, die zuschauen, wie der Zug vorüberfährt.
Aus den
Städten, wo wir aufgetreten sind, bekomme ich Briefe; anfangs beantwortete ich
sie; jetzt weiß ich nicht mehr, was damit anfangen. Manche bitten um
Medikamente, andere schreiben aus dem Gefängnis. Verehrer schicken Fotos von
sich. Herzzerreißende Geschichten kommen vor, auch ganz grässliche. Eine
Schauspielerin aus dem Kursker Bezirkstheater: krank, von drei Kindern eins
invalide, das Mädchen hat sich mit heißem Fett verbrüht und ist erblindet,
keiner kann helfen. Herausgerissene Seiten aus Schulheften, Ansichtskarten.
Komplimente, Liebesschwüre, Bitten um Fürsprache, für eine Einweisung ins
Krankenhaus zum Beispiel. »So ist es, wenn man berühmt ist!«, lacht Iossif.
»Ist doch prima. Das wolltest du doch, oder nicht?«
Nein, das
war es bestimmt nicht, was ich wollte.
Was fange
ich an mit alledem? Wegwerfen, verbrennen, das würde mir Gott nicht verzeihen.
Aber machen kann ich gar nichts.
Das
einzige Mal, dass wir anständig unterkamen, war in Leningrad. Iossif hatte ein
Zimmer im Astoria gebucht. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als man
eine Arbeiterkantine daraus machte. Jetzt ist es wieder ein vornehmes Hotel.
Das Zimmer exzellent, mit Blick auf die Kathedrale.
Das
Erstaunlichste aber ist, dass da noch dieselben Leute arbeiten. Maitre d'hótel
ist nach wie vor Baron Nikolai von Wrangel. Wahrscheinlich der Einzige jenseits
der Bühne, der noch einen Frack zu tragen versteht. Noch verblüffter war ich,
Dina, das alte Liftmädchen, wiederzusehen. Immer noch mit demselben Pony - exakte
Kopie der Anna Achmatowa auf dem Porträt von Altman. Freilich ist sie älter
geworden und in die Breite gegangen.
Das wollte
ich hier einmal festhalten: Erstaunlich zu sehen, wie sich alles ändert, und
die Menschen bleiben die gleichen.
Im Astoria
ließ ich mir die Wanne voll, sie war
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