Schischkin, Michail
heraus. Direktor des Säulensaals! Was für ihn
auch wieder nur eine Stufe auf der Leiter ist. Und ich weiß ja, dieser Mann
erreicht im Leben alles, was er sich in den Kopf setzt. Zu seinem runden
Geburtstag hat er sich selbst königlich beschenkt: einen goldenen Chrysler,
direkt von den Amerikanern gekauft. Davon gibt es in Moskau ganze zwei. Den
anderen hat der NKWD. Wenn wir uns auf den Straßen
dieser Stadt begegnen, wird kräftig gehupt.
Dieses
Jubiläum hat mich Nerven gekostet! Aus Bescheidenheit verzichtete Iossif
darauf, die Feierlichkeit im Säulensaal zu veranstalten, das ihm anvertraute
Staatseigentum zu persönlichen Zwecken zu nutzen wäre ihm peinlich gewesen;
also nahm er mit dem Metropol »vorlieb«. Was hat er geschwitzt über der Gästeliste!
Mitten in der Nacht stand er auf, um jemanden zu streichen und neue Namen
aufzunehmen, immer fürchtete er, irgendeine wichtige Persönlichkeit vergessen
zu haben. Und natürlich lud er auch diejenigen ein, die mich in den letzten
fünf Jahren geflissentlich übersehen haben, so taten, als gäbe es mich nicht
mehr; diese schreckliche Zeit, in der eine kläffende Meute gegen das
»Zigeunergetue« zu Felde zog, man jede Unterstützung, jeden Zuspruch gut hätte
gebrauchen können. Zuerst sagte ich: Da gehe ich nicht hin. Flehentlich, wie
nur er es vermag, suchte er mich umzustimmen. Ich konnte mir einfach nicht
vorstellen, wie ich diesen Leuten die Hand geben sollte. Und dann war alles
ganz einfach. Es herrschte so viel aufrichtige Freude darüber, dass ich zurück
bin, Konzerte gebe, auf Tournee gehe, man gratulierte mir gar zur Schallplatte
- von der ich noch gar nicht wusste, ob es sie geben würde, aber alle
gratulierten mir schon!
Ich
staunte über mich selber. Nie hätte ich gedacht, dass es mir so leichtfallen
könnte, sie anzulächeln, mit ihnen zu reden und zu lachen. Das kommt, weil ich
ihnen vergeben habe. Von einem Tag auf den anderen. Sie sind arme Würstchen.
Ihnen nicht zu vergeben wäre Sünde.
Es zeigt
sich wieder einmal, wie schwer man an einer Kränkung zu tragen hat und wie
leicht es ist, davon zu lassen.
Gleichsam
unbeteiligt, als wäre es ein Film, schaute ich ihnen zu, wie sie sich
vergnügten. Wie sie aßen, tranken, tanzten - möglichst schnell und möglichst
viel. So als wäre schon morgen alles zu Ende. Als müsste man heute noch auf
seine Kosten kommen, jetzt oder nie. Und so amüsierten sie sich bis zur
Besinnungslosigkeit, schlangen, dass ihnen das Zeug zu den Ohren rauskam,
soffen, bis sie kotzten.
Iossif hat
sich nicht lumpen lassen - noblesse oblige. Ein anderes Restaurant als das
Metropol wäre unter seiner Würde gewesen. Überall Kristall und dicke Teppiche,
der Eingang im Scheinwerferlicht, Türsteher in Livree. Die Garderobe der Damen
nicht von der Nähereigenossenschaft, sondern aus dem Hause Lamanowa. Geplauder,
Gelächter, vornehme Düfte. Kaviar, Störrücken, Bananen, edle Torten.
Champagner in Strömen. Und in der Mitte der berühmte Springbrunnen, in den
schon so viele Damen und Herren hineingefallen sind. Und noch hineinfallen
werden. Das Orchester im Frack.
Alle bedrängten
mich, ich solle singen. Iossif auf den Knien. Ich sah ihm die Angst an, dass
ich mich weigern könnte, und die flehentliche Bitte, ihm diesen Abend mit all
den wichtigen Leuten, von denen sein Leben abhängt und meines dazu, nicht zu
verderben. Ich trat auf im langen Abendkleid aus purpurnem Pannesamt, das
speziell für den Abend angefertigt worden war. Ich sang Romanzen von
Prosorowski. Jeder wusste Bescheid, alle taten sie, als wäre nichts dabei.
Prosorowski, wer war das noch mal? Wo mag er sein? Vielleicht hat es ihn ja nie
gegeben! Aber diese Romanze, die ist unsterblich schön. Wen interessiert schon
ihr Verfasser!
Die
Akustik dort ist gut. Ein riesiger, mit Musik zu füllender Raum - das Oberlicht
knapp unterm Himmel.
Und in
diesen heiligen Hallen: Wodka, Völlerei, besoffene Tänze.
Ich sehnte
das Ende des Abends herbei.
Und als
ich schon im Mantel an der Garderobe stand und auf Iossif wartete, um nach
Hause zu fahren, sah ich durch die Glastür die Überraschung: Es schneite wie
verrückt! Und das, obwohl aller Schnee in der Stadt schon abgetaut war!
Staunend stand ich da und schaute. Konnte nicht anders, als in das
Schneetreiben hinauszutreten. Alles weiß! Es tat so wohl, diese Frische zu
atmen nach dem stickigen, schweißigen, trunkenen Lokal. Welch eine Stille.
Sachte fiel der Schnee in riesigen Flocken durch die
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