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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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Kraft habe, hilft es manchmal einzuschalten und ein Weilchen
zuzuhören - dann packt einen wieder die Lebenslust, man möchte tanzen. Mama
kann diese Musik aber nicht ausstehen. Sie hört jeden Abend ihre
Opernübertragungen: »Zweiter Akt. Im Schlafzimmer der Gräfin.« Sobald
Nachrichten kommen, schaltet sie ab.
    Könnte es
sein, Mama, dass auch wir beide unser entscheidendes Zwiegespräch verpassen?
    Oder ist
das Reden über Bagatellen in Wirklichkeit das, worauf es ankommt?
    Nach dem
Mittagessen machte ich einen Gang durch die Siedlung, ein streunender Hund
schloss sich an. Ich brachte ihn mit nach Hause, gab ihm zu fressen. Mascha
blies gleich die Backen auf: warum ich immer alles Kroppzeug ins Haus
geschleppt bringe, und alle hungrigen Hunde könnte ich sowieso nicht füttern
...
    Eben. Wenn
man schon nicht alle füttern kann, sollte man den füttern, den man kann.
Nämlich diesen.
    Das ist
wie mit dem Glück. Alle können unmöglich glücklich sein - wer es also kann,
sollte seine Chance nutzen. Jetzt und heute soll man sein Glück beim Schöpfe
fassen, trotz alledem. Jemand hat behauptet, solange es die Hölle gebe, könne
es kein Paradies geben. So als könnte man mit dem Wissen, dass irgendwo
gelitten wird, gar nicht im Paradies sein. Blödsinn! Das Leben lässt sich
sowieso erst richtig genießen, nachdem man Leid erfahren hat. Was gingen diesen
Köter hier die Reste unserer Suppe an, wäre er nicht vor Hunger halb tot
gewesen?
    Und das
war immer so: Jemandem wird der Kopf abgeschlagen, und in der Menge der
Zuschauer vor dem Schafott sind zwei, die verlieben sich gerade zum ersten Mal.
Einer schaut verzückt auf den malerischen Sonnenuntergang, ein anderer sieht
ihn auch, aber durch ein Gitter. So ist es, und so wird es bleiben. Kann gar
nicht anders sein! Und wenn es Dutzende sind oder Millionen, denen der Kopf
abgeschlagen wird - jemand muss zur selben Zeit die erste Liebe erleben. Auch
dieser Jüngling neulich. Ich sehe sein Gesicht noch vor mir: auf der Rückfahrt
von der Krim, als wir auf einem Nebengleis hielten, und uns direkt gegenüber
stand ein »Stolypin« mit Gefangenen, das winzige Fenster vergittert, dahinter
ein noch beinahe kindliches Gesicht. Der Junge wiederum wird das Essen bei uns
auf dem Tisch gesehen haben, die Blumen und die Flaschen.
    Eine
Minute standen wir uns so gegenüber. Keiner im Abteil sagte etwas. Als die
Fahrt dann weiterging, war die Stimmung gedrückt.
    Vielleicht
sollte es umgekehrt sein: das Leben nach solchen Erlebnissen nur noch
fröhlicher? Der Geschmack des Essens würziger? Der Sonnenuntergang schöner?
    Die Welt
ist ein Ganzes, eine Vielzahl kommunizierender Gefäße. Je ärger das Unglück der
einen, desto entschiedener müssen die anderen auf ihrem Glück bestehen. Desto
stärker müssen sie lieben. Damit die Welt im Gleichgewicht bleibt, damit sie
nicht kentert wie ein Boot.
     
    Lugowskoi
hat wie versprochen zwei Soldaten zum Holzsägen geschickt. Zwei Wassilis. Der
eine kräftig und klein, der andere rank und schlank. Sie sägten mit freiem
Oberkörper. Ich lag nebenan in der sanft schaukelnden Hängematte, ihre
ausrasierten jungen Nacken im Blick, die gebräunten Rücken, das Muskelspiel.
Als sie das Holz an mir vorbeischleppten, stieg der Geruch von frisch gesägtem
Holz und Männerschweiß in meine Nase.
    Wahrscheinlich
würde nie jemand zugeben, dass der Geruch von Holz und Schweiß in gewissen
Momenten erregend auf ihn wirkt. Ich jedenfalls war so erregt, dass sich mir
der ganze Unterleib zusammenzog.
     
    Die
Untreue meines Mannes quälte mich so lange, wie ich ihn nicht selbst betrog.
Beziehungsweise so lange, bis ich begriff, dass das gar kein Betrug ist.
    Es war
vorigen Sommer. Auf der Krim. Eine Ferienromanze.
    Palmen,
weißes Licht, freier Blick, die kahlen Gipfel: der Mönch, das Kamel, die
Siamkatze. Macht tatsächlich einen Katzenbuckel hin zum Meer.
    Jeden Tag
in aller Früh turnte er am Strand herum: lief auf Händen, sprang Saltos,
schlug Räder, stand freihändig auf dem Kopf. Der durchtrainierte, fest
verschraubte Körper eines Akrobaten. Erst suchte ich ihm aus Übermut zu
gefallen. Wir stiegen weit hinauf in die Berge. Auf schmalem Pfad griff ich
nach seiner Hand - weniger um mich festzuhalten, als um ihn zu berühren.
Frivole Gespräche.
    »Am
liebsten würde ich Sie entführen. Für immer!« - »Und ich ließe alles stehen und
liegen und käme mit!«
    Als ich am
nächsten Morgen erwachte, wusste ich, dass ich verliebt war - nur nicht,

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