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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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da ein Empfängnisdenkmal
hinstellen? Die haben nur das eine im Kopf!«
    Sie zieht
ein zerknülltes Taschentuch aus dem Ärmel, schnäuzt sich, schiebt es wieder
zurück.
    »Ein
Mitbringsel aus der Moskauer Metro. Ehe du von Wychino aus im Zentrum bist,
wirst du von allen Seiten ordentlich beniest!«
    Ein
Geräusch flutet die Straße, scharf und flatterig. Jemand hat sich den
Vogelstrumpf aus der Luft gegriffen, zieht ihn sich über den Fuß.
    Die
geschminkte Alte, die gerade aus der Tür eines Tabacchi tritt, schaut skeptisch
zum Himmel und klappt vorsorglich einen Regenschirm auf. Auch andere Passanten
tragen Schirme gegen die Vögel.
    »Gehen
wir!«, sagt die Galpetra und rückt schon wieder ihr Mützchen gerade. »Wohin?«
    »Woandershin.
Was sollen wir vor dieser Säule rumstehen? Aber sei vorsichtig, immer schön
nach rechts und links sehen. Die rasen hier alle wie die Besengten!«
    Die
Galpetra lässt einen Schwarm Motorroller vorbei und wechselt betulich auf die
andere Straßenseite. Ihr Gang ist watschelnd, die Pantoffeln schlurfen über das
römische Pflaster. Bei jedem Schritt schlappen die offen stehenden
Stiefelschäfte gegeneinander.
    Der
Dolmetsch holt sie ein, geht neben ihr her. Vor jedem Stand mit Souvenirs,
Postkarten und Fußballstar-Trikots bleibt sie stehen. Drängt zu den Tischen.
Betrachtet eingehend die Auslagen der Kioske mit den Madonnen im Barbielook und
den Barbiepuppen im Madonnenlook. Studiert kopfschüttelnd die Preise.
    Touristengruppen
schieben sich vorbei. Japaner, Deutsche, wieder Japaner. Über den Köpfen der
Menge allenthalben die Schirme und Stöcke der Stadtführer mit den bunten
Fähnchen: Bitte folgen, meine Herrschaften!, scheinen sie zu rufen, nur nicht
zurückbleiben, ich zeige Ihnen das Wahre, das einzig Echte und Ewige in dieser
wirren, hektischen Stadt, das, weswegen Sie hier sind, nicht wahr - was Sie
vorher nicht waren und nachher nicht sein werden - jetzt sind Sie's!
    Jemand
tritt Galpetra auf den Pantoffel.
    »Wohl
blind oder was?«, faucht sie. »Schau gefälligst, wo du hintrittst!«
    Die
Passanten wagen verstohlene Blicke auf die Museumspantoffeln und das obszöne
Zettelchen an ihrem Rücken, doch niemand echauffiert sich, hier hat man schon
ganz anderes gesehen.
    »Was gibt
es dort vorne? Gehen wir dahin!... Ach-Mann-ach-Mann, nun hat es mich doch noch
in dieses Rom verschlagen, wer hätte das gedacht!«
    Sie
schwenken in die Via del Tritone ein. Ein Grüppchen Schüler kommt ihnen
entgegen, jeder mit einem Big Mac in der Hand. Einer wirft seine Tüte auf den
Gehweg, der Galpetra gerade vor die Füße.
    »Na, da
hört sich doch alles auf!«
    Sie packt
den Burschen am Schlafittchen und nötigt ihn, das Papier wieder aufzuheben. Er
tut es verdattert und eilt weiter, mit dem Papier in der Faust, sich immer
wieder umsehend; dass ihn jemand so anfasst, ist er sichtlich nicht gewöhnt.
    Immer
wieder schaut die Galpetra auf ihr Spiegelbild in den Schaufenstern der
Boutiquen und schiebt das Mützchen zurecht, zupft am Rock, versucht auf ihren
Rücken zu spähen.
    Jetzt ist
sie vor einem Schaufenster mit Gipsbüsten stehen geblieben, reibt sich die Schläfen.
    »Eben noch
wollte ich dir was sagen, jetzt ist es mir entfallen! Ich leide in letzter Zeit
an Gedächtnisschwund. Hach, was man aber auch alles so mitschleppt an
Überflüssigem, und das Wichtige rutscht einem durch! Da schau, Laokoon. Mein
Lebtag hab ich davon geträumt, den echten zu sehen! Wusstest du, dass er ohne
Arm gefunden wurde? Man hat ihm einen neuen verpasst. Michelangelo kam sich das
angucken und sagte: Nein, die Hand darf die Schlange nicht dort oben halten,
sie gehört nach unten, hinter den Kopf - oder war es umgekehrt: nicht hinten,
sondern oben, weiß nicht mehr. Und dann, Jahrhunderte später, fanden sie den
echten Arm, und es war genauso, wie Michelangelo gesagt hatte... Genug
geglotzt. Weiter geht's!«
    Sie
bleiben an einer Kreuzung stehen.
    »Guck dir
das an! Hier rennt auch alles bei Rot rüber!«
    Wieder
zieht sie ihr Schnupftuch aus dem Ärmel, wischt sich die geschwollene Nase. Auf
der Oberlippe sind Pickelchen zu sehen - bestimmt hat sie sich die Barthaare
mit der Pinzette ausgezupft.
    »Warst du
denn schon im Vatikan, sag mal? Den echten Laokoon gucken?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Nicht
schlecht.«
    »Wie
bitte? Nicht schlecht, sagt er. Was fällt dir ein! Laokoon! Das Trojanische
Pferd! Die erzürnte Athene! Die alten Griechen! Wie vortrefflich der antike Bildhauer
die Leiden im Antlitz

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