Schischkin, Michail
was
ich damit anfangen sollte. Ich spürte in mir dieses typische Kribbeln - wie
wenn man mit feuchter Zunge den Stromgehalt einer Batterie prüft.
Wir gingen
jeden Tag baden. Saßen im Sand. Ich ließ den Strandschlappen auf der Fußspitze
tanzen und fühlte mich jung, stark und verwegen.
Er gab mir
meinen Körper zurück - durch seine Liebe lernte auch ich ihn wieder lieben. Und
außerdem fiel ihm auf: »Du sagst ja gar nichts. Bei der Liebe muss man reden!«
Ihn
eigenhändig auszuziehen ließ ich mir nie nehmen. Ihn dort zu küssen, wo der
Geruch am stärksten war. Einen Körper umfassend zu lieben, ohne Furcht vor
Unverständnis. Aus Liebe bestehen.
Nach aller
Raserei und Ekstase, wenn ich - schweißnass, die Haare an den Lippen klebend -
wohl oder übel in mich zurückkehren muss und ihn so schlaff und hilflos neben
mir liegen sehe, spüre ich einen Zustrom neuer Kraft und grenzenlose
Zärtlichkeit. Er nimmt meine Hand, legt sie sich auf die Augen. Ich mache es
mir in seiner Achselhöhle bequem, fühle sein Herz an meiner Schläfe pochen.
Oder ich schaue ihn an, den Kopf auf der Hand, den Ellbogen ins Kissen
gestützt. Das ist so schön, und alle Sorgen sind so fern.
Morgens
weckt er mich, indem er mein Ohrläppchen zwischen die Lippen nimmt, mir
Liebesschwüre ins Ohr raunt - ob wahr oder gelogen, ist mir völlig egal. Denn
in der Liebe kann es keine Lüge geben, Lügen kommen nur in Worten vor.
Nachts
fuhren wir mit dem Boot aufs Meer. Nie zuvor war mir aufgefallen, dass das
Schwarze Meer nachts Licht ausstrahlt. Man muss das Ruder nur eintauchen, schon
tritt ein Leuchten aus der aufgewühlten Welle. Kommt das Wasser zur Ruhe, hört
das Leuchten wieder auf. Ein umwerfender Anblick! Nicht nur unser Bootskiel
hinterließ eine Leuchtspur, jeder noch so kleine Fisch hatte eine, sowie er
sich rührte. Wir ruderten aufs offene Meer, wohl an die zwei Kilometer hinaus,
dort bot sich uns ein bezauberndes Schauspiel: Delfine auf Fischfang, die
Lichtflecken hinterließen. Sie waren über das ganze nächtliche Meer verteilt!
Einmal kam
ich mit nur einem Ohrring nach Hause, was ich erst beim Zubettgehen merkte.
Aber Iossif schien nichts aufgefallen zu sein.
Vielleicht
weiß er ja, was los ist, und sagt nur nichts. Ach Iossif, du bist so lieb und
gescheit.
Meine
einzige Befürchtung ist, ich könnte nicht alles, was in mir schlummert,
verschenkt haben, bevor es zu spät ist. Der Körper verfällt so schnell!
Von jedem
Mann, den ich liebte, wollte ich ein Kind. Will es noch. Noch bin ich nicht zu
alt, um zu gebären. Doch ich weiß, die Zeit läuft.
Ich hatte
schon Angst, dass mit mir etwas nicht stimmt, bin zu allen möglichen Ärzten
gerannt - aber die Herren Professoren konnten nur ratlos die Schultern zucken.
Gott
scheint es nicht zu wollen.
Warum
nicht, lieber Gott? Willst du mich auf die Folter spannen, bis ich alt und
grau bin? Ein Wunder soll es sein, darunter machst du es nicht, wie? Ist es
eine Prüfung? Willst du jemandem etwas beweisen? Ich soll erst hundert Jahre
alt werden, und dann darf ich, so wie einst Sarah?
Ich bin
aber keine Sarah. Ich will nicht hundert Jahre alt werden. Ich lebe jetzt und
hier.
Wegen des
Gewitters wurde in der ganzen Siedlung der Strom abgeschaltet. In allen
Datschas ist es finster. Ich sitze mit der Petroleumlampe.
Heute, am
28. Juli, wurde in der Zeitung das totale Abtreibungsverbot bekannt gegeben.
Gleich daneben stand ein Artikel über die Verhaftung einer gewissen Morosowa,
Marija Jegorowna (35), Arbeiterin in den Torfbrüchen Nasija, die im Laufe der
letzten 3 Jahre 17 Abtreibungen an
verschiedenen Torfarbeiterinnen durch Einspritzen von Seifenlösung unter
unhygienischen Bedingungen vornahm.
Iossifs
Cousine Sonja arbeitet als Beratungsschwester am Otto-Krankenhaus. Als wir uns
das letzte Mal in Leningrad trafen, berichtete sie von den vielen Gräueln, die
ihr im Dienst begegnen. In welchem Zustand die armen Frauen nach versuchter
Selbstabtreibung eingeliefert werden! Sie verstümmeln sich mit Häkelnadeln,
Bleistiften, Gänsefedern, Birkenspänen. Komplikationen sind die Folge,
Infektionen, Blutvergiftungen, die oft tödlich ausgehen. Sie beantragen eine
Abtreibung, die wird ihnen verwehrt, eine Beratungsschwester sucht sie zu Hause
auf, die gar nicht erst eingelassen wird. »Sie sind doch aber schwanger!« -
»Nicht mehr.« Die häufigsten Begründungen sind: schwer gehoben, gestolpert,
Unterleibserkrankung und so weiter.
Gastspiel
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