Schischkin, Michail

fertig. Will Ihnen das denn nicht in den
Kopf?, brüllte er auf einmal. Das ist kein Ene, mene, muh, das ist die Kraft
des Lebens, wollen Sie sich der in den Weg stellen? Und ich darauf: Brüllen Sie
mich nicht so an. Ich bin kein Härchen mehr in euerm Fell. Weder euer Gericht
erkenne ich an noch ein nach euerm Abzählreim gestricktes Leben. Macht mit mir,
was ihr wollt. Da wurde er fuchtig: Manche Schlauberger täuschen sich, wenn sie
meinen, das Universum wäre wie ein Stiefel so einfach beschaffen. Nein: Hier
ein Fell, da eine Schwarte, dort die Blutspur über die Straßenbahngleise, und
da hinten ragt ein Katzenschwanz steil aus dem Schornstein vorm Wintersonnenuntergang.
Nur einen positiven Helden, den gibt es nicht! Woher auch, in dieser Welt? Es
mag in Romanen vorkommen, dass so einer dem Bösen in die Eier tritt, aber wir
sind hier nicht im Roman! Und wer bist du, dass du gegen den Abzählreim
anstinkst? Der die Welt zusammenhält! Da hast du es schwarz auf weiß: Das
Negerlein sträubt sich und sagt zum Abzählreim, nein, ich will nicht zu den
Haien, wird am Schlafittchen gepackt, und hopp. Es muss mit, ob es ihm gefällt
oder nicht. Da gehen schließlich alle hin! Und wer nicht gehen will, der fliegt
und küsst dem Untier die Klöten! Verstanden, du Clown? Dann verlas er das Urteil,
das aus einem einzigen Satz bestand: Nur Barbaren glauben an den Kampf des
Guten gegen das Böse. Und fügte von sich aus hinzu, es sei vollkommen zwecklos,
einen Wilden gesprächsweise überzeugen zu wollen, dass seine Holzpuppe nicht
der liebe Gott ist, sondern nur ein Puppe. Und im Hinausgehen sagte er noch:
Entschuldige die Maskerade, Alter - aber du weißt ja, nicht die Perücke macht
den Mann.
    Frage: Und das
war die ganze Verhandlung?
    Antwort: Genügt das
nicht?
    Frage: So wurde
dem Recht also zum Sieg verholfen.
    Antwort: Ich bekam
noch ein letztes Wort mit der Mutter und der Schwester zugestanden, dann ging
es zum Transport. Lenka ist nicht erschienen.
    Frage: Das
konnten Sie ihr wohl nicht verzeihen?
    Antwort: Zuerst
nicht, nachher schon. Es fing sowieso ein völlig anderes Leben an. Du bist neu,
hast noch den Geruch der Freiheit an dir, von nichts eine Ahnung, musst alles
erst lernen. Und keiner sagt dir was, keiner gibt einen Tipp. Du steckst dir
den Löffel in die obere Jackentasche - schon ein Fehler, denn daran erkennt man
den Büßer. Oder du kommst in den Speisesaal, setzt dich auf eine Bank - ganz
falsch, das ist der Tisch, an dem die Büßer essen.
    Frage: Aber was
wollen Sie denn? Eine Welt ohne Büßer? Leute, die wegen einer
Gruppenvergewaltigung von Minderjährigen verurteilt sind, kommen ins Lager und
werden dort erniedrigt - gut, das mag Gewalt sein, andererseits doch auch
höhere Gerechtigkeit, etwa nicht? Aug um Aug. Nicht jeder mag ans Jüngste Gericht
glauben. Also hat man schon auf Erden für seine Taten einzustehen. Und Sie
waren nun mal Bulle. Da scheint alles seine Richtigkeit zu haben. Abgesehen
davon, sind Büßer auch Menschen und leben ihr Leben. Für alles hat es letztlich
eine Ordnung. Parias sind ein Teil davon. War es bei Ihnen anders?
    Antwort: Nein. Bei
uns in der Zone gab es ungefähr tausend Mann, davon waren fünfzehn bis zwanzig
Büßer. Sie saßen an gesonderten Tischen, schliefen aber in den Baracken für
alle. Dass einer nirgends etwas zu suchen hatte als in der ihm zugewiesenen
Baracke, war strengste Vorschrift - die galt für Büßer ebenso wie für jeden
anderen. Aber es gab zum Schlafen eine spezielle Büßerecke. Diese Leute werden
natürlich gebraucht. Zum Kloschrubben und Appellplatzfegen. Selber sind sie
schmutzig und stinken. Und jeder, der vorbeikommt, muss ihnen einen Tritt
verpassen - weshalb sie bemüht sind, gar niemandem vor die Füße zu geraten.
Dass sie schmutzig sind, hat seinen Grund. Sich zu waschen ist für sie nämlich
ein Problem. Weil so einer doch schließlich nicht gemeinsam mit dem normalen
Häftling ins Badehaus gehen kann. Und überhaupt ist es für sie heikel, sich in
der Zone zu bewegen. Nehmen wir an, Sie sind ein Büßer und gehen gerade die
Treppe rauf ins obere Stockwerk der Baracke, da kommt Ihnen einer entgegen.
Sowie Sie ihn sehen, müssen Sie sich, Rücken zur Wand, in eine Ecke drücken und
warten, bis er vorbei ist; eine auch nur zufällige Berührung mit dem
vollwertigen Häftling ist unter allen Umständen zu vermeiden, und wenn der
andere das Gefühl hat, dass Sie diese Regel nicht streng genug befolgen, dann
wird er nach Ihnen