Schischkin, Michail
geht die Zigeunerin davon mit meiner
Birne, ihre Röcke wirbeln Staub auf.
Von nun an
gehen die Gedanken vor dem Einschlafen zu meinem Ritter und dem Goldkind, das
ich einmal zur Welt bringen werde. Wie Kinder auf die Welt kommen, weiß ich
schon, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das Kind aus einem so
kleinen Loch herausfinden soll.
Sascha
liest mit Vorliebe Ritterromane. Zum Schulfasching trägt er Harnisch und Helm,
die er aus Pappe gebastelt und mit Silberpapier beklebt hat.
Das
Tischgespräch beim Abendtee dreht sich um Puschkin und sein Duell. Mama hasst
Natalie. Ich hasse sie auch: Ihretwegen musste Puschkin sterben. Es fällt der
Satz, Puschkin sei ein wahrer Ritter gewesen. Ich kann ihn mir in Harnisch und
Visier nicht vorstellen und muss lachen. Papa erklärt: »Um ein Ritter zu sein,
muss man nicht unbedingt einen Eisenpanzer tragen. Ritterlichkeit ist ein
Seelenzustand.« - »Bist du ein Ritter, Papa?«, frage ich ihn. Er lächelt
verschämt. Mama springt auf und läuft aus dem Zimmer. Sie, die immer so sanft
und ausgeglichen ist, sehe ich zum ersten Mal aus der Fassung geraten. Unter
dem Siegel der Verschwiegenheit teilen mir meine Schwestern kurz darauf mit,
dass wir ein kleines Brüderchen haben, das aber nicht Mama zur Welt gebracht
hat.
Zeichnen
macht mir irgendwie keinen Spaß - allein schon der weiße Buntstift kommt mir
ausgesprochen lächerlich vor -, doch spiele ich für mein Leben gern Theater.
Wir kriegen ein Spielzeugtheater gekauft: eine große Schachtel mit
Giebelfassade und einem Vorhang, der sich heben lässt. Seitlich sind Logen
aufgemalt, in denen fein angezogene Kinder sitzen, die Mode muss noch aus der
Puschkinzeit stammen. Im Inneren die Bühnenbilder: Hintergrund- und
Seitenkulissen für ein Stück in fünf Akten, frei nach dem Märchen vom goldenen
Fischlein. Das erbauliche Fischlein langweilt uns allerdings schon nach kurzer
Zeit, sodass wir uns eigene Dekorationen und handelnde Figuren auszudenken
beginnen. Katja und Mascha schneiden und kleben, ich stelle die Figuren auf
und spreche und singe sie beinahe alle. Für die Kleinen - ich bin ja
schon groß! - aus der Bekanntschaft veranstalten wir Aufführungen. Draußen ist
Winter, es ist dunkel und kalt, doch hier drinnen bei uns kann man einen
Zauberwald mit duftenden Blüten sehen. Die Kleinen lauschen atemlos.
Im Sommer
veranstalten wir dann ein richtiges Theater, nicht bloß mit Puppen. Zwischen
zwei Birken wird ein Seil gespannt, darüber kommt ein Laken als Vorhang. Wir
tragen Stühle und Schemel herbei und laden die Kinder aus der Nachbarschaft
ein. Kommoden, Kisten und Kartons werden durchwühlt, entwendet wird alles, was
auch nur irgendwie theatertauglich scheint: Hüte, Handschuhe, Schirme und
Decken.
Am
allermeisten Spaß macht mir jedoch das Singen. Und nicht einfach bloß singen,
sondern dabei auch noch spielen, wovon ich singe.
Ein Dauerbrenner ist Auf der alten Chaussee nach
Kaluga. Ich stelle dar, wie dieser Mordskerl mit seinem
Morgenstern am Meilenstein neunundvierzig herumspaziert, dann wechsle ich in
die weibliche Rolle: Da trat aus dem Walde ein Weiblein
Vertieft in ihr frommes Gebet Und auf ihren Armen ein Knäblein Der nährenden
Brust zugedreht.
Den
Säugling gibt meine Puppe. Die Leidenschaften kochen hoch, breitbeinig stiefele
ich umher, führe vor, wie der grimmige Räuber die arme Frau bei den Zöpfen
packt und tötet! Und als der Unhold dabei ist, meine Puppe zu töten, und im
nächsten Moment vom Blitz erschlagen wird, da stürze ich nieder und singe auf
dem Boden liegend das Ende vom Lied: So ward mit der Wucht dieses
Pfeiles Dem Unhold sein Handwerk gelegt! Der Räuber zu Füßen der Fichte Sich
nimmermehr rühret noch regt.
Mama
gefallen meine Galavorstellungen nicht, und ich frage mich warum. Dafür ist
Papa jedes Mal hin und weg, ganz gleich was ich da wieder fabriziert habe,
nimmt mich in die Arme, küsst mich ab, nennt mich die Königin von Rostow und
ganz Nachitschewan. Sein Bart kitzelt beim Küssen. Immer wenn Gäste da sind, bittet
mich Papa etwas vorzusingen. Ich bin alles andere als publikumsscheu, im
Gegenteil, allein vor mich hinzusingen reizt mich nicht, ich brauche Leute,
die Anteil nehmen. Alle sagen, die Natur habe mich mit einer besonderen Stimme
gesegnet, alle sind sie begeistert, welch vollen Brustton die Stimmbänder
dieses doch noch so kleinen Mädchens hervorbringen.
Nicht
sattsehen kann ich mich an Papas Bildbänden mit Gemälden russischer Künstler
und
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