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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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nicht
ausgestorben, und der uns alle aufzufressen droht, ist kein Geringerer als der
Monarch höchstselbst, oder ist es eine Monarchin, ich habe länger nicht im
höfischen Adressbuch nachgesehen, und sowieso hängt das Geschlecht von der
Sprache ab, jedenfalls gibt es den einen Herodes den Großen, aber sonst, wenn
man nicht ständig daran denkt, ist das Leben hier ein lustig Liedlein, das mir
heute Morgen in der Straßenbahn einer angehängt hat, während er am Bahnhof
ausstieg.
    Lustig
auch, sich vorzustellen, wie Ihr diesen Brief in ein paar Jahren zugestellt
bekommt und Euch vielleicht gar nicht mehr entsinnen könnt, einstmals der
Kaiser dieses wunderbaren, an meine Wand gepinnten Imperiums gewesen zu sein...
    Stift,
Notizblock, Wasserglas. Sonnenschein draußen vorm Fenster. Das Wasser im Glas
wirft einen schillernden Sonnenkringel an die Decke - das ist schon kein
Kringel mehr, sondern ein ausgewachsener Schwimmring, und für einen Moment
sieht es aus wie ein großes Ohr. Oder ein Embryo. Die Tür geht auf. Der
Nächste.
     
    Frage: Führen Sie
kurz die Gründe aus, weshalb Sie um Gewährung von Asyl bitten.
    Antwort: Ich war
Zollangestellter an der kasachischen Grenze. Militärs beförderten Drogen in
ihren Autos, und mein Chef hatte mit ihnen einen Deal. Wir sollten vor alledem
die Augen verschließen, ganz normal abfertigen. Ich schrieb einen Brief an den
FSB. Ein paar Tage später wurde meine Tochter von einem Auto angefahren. Ich
bekam einen Anruf. Das sei nur eine Vorwarnung gewesen, hieß es.
    Frage: Führen Sie
kurz die Gründe aus, weshalb Sie um Gewährung von Asyl bitten.
    Antwort: Bei den
Gouverneurswahlen unterstützte ich aktiv den Kandidaten der Opposition, nahm an
Protestmeetings teil und sammelte Unterschriften. Ich wurde aufs Polizeirevier
bestellt, ich sollte gefälligst aufhören, Enthüllungen über die Gebietsleitung
in die Welt zu setzen. Mehrmals wurde ich von Milizionären in Zivil verprügelt.
Meinem Asylantrag habe ich medizinische Gutachten über einen Kieferbruch, einen
Armbruch und weitere Prügelfolgen beigefügt. Wie Sie sehen, bin ich invalid
und kann keiner Arbeit nachgehen. Meine mitgereiste Ehefrau hat Magenkrebs.
    Frage: Führen Sie
kurz die Gründe aus, weshalb Sie um Gewährung von Asyl bitten.
    Antwort: Ich bin
aidskrank. In unserer Stadt haben sich alle von mir losgesagt. Selbst meine
Frau und die Kinder. Infiziert wurde ich im Krankenhaus, bei einer Bluttransfusion.
Ich habe alles verloren: Arbeit, Freunde, mein Zuhause. Ich habe nicht mehr
lange zu leben. Ich dachte mir, wenn ich schon sterben muss, dann hier bei
Ihnen, unter menschlichen Umständen. Sie werden mich schon nicht rauswerfen.
    Frage: Führen Sie
kurz die Gründe aus, weshalb Sie um Gewährung von Asyl bitten.
    Antwort: Es war
einmal im rechtgläubigen Muntenien ein Woiwode mit Namen Dracula. Einmal ließ
ihm ein türkischer Pascha durch Gesandte ausrichten, er solle sich ihm
unterwerfen und dem christlichen Glauben abschwören. Während die Gesandten mit
dem Woiwoden sprachen, nahmen sie ihre Mützen nicht ab, und auf die Frage,
warum sie den hohen Herrn in dieser Weise beleidigten, sprachen sie: So ist es,
Herr, in unseren Landen nun einmal Sitte. Da befahl Dracula seinen Dienern, den
Gesandten die Mütze am Kopf festzunageln, und sandte ihre Leichname retour mit
der Botschaft, es gebe nur einen Gott, aber die Sitten seien verschieden. Der
erboste Pascha kam mit einer riesigen Armee gegen das rechtgläubige Land
gezogen, ein Morden und Plündern hob an. Der Woiwode Dracula sammelte seine
nicht sehr zahlreichen Heerscharen, überfiel die Muselmanen des Nachts und
tötete gar viele von ihnen, schlug die übrigen in die Flucht. Am nächsten
Morgen ließ er seine Kämpfer, so sie am Leben geblieben, zum Appell antreten.
Wer seine Wunden vorne trug, dem erwies er höchste Ehre und hieß ihn einen
Recken. Wer aber am Rücken wund war, den ließ er pfählen und sprach zu ihm: Du
bist kein Mann, du bist ein Weib. Wie der Pascha davon hörte, zog er mit seinen
verbliebenen Truppen ab und wagte das Land kein weiteres Mal zu überfallen. So
lebte der Woiwode Dracula in seinen Landen hin. Nun war es aber so, dass es in
Muntenien zu jener Zeit eine große Zahl an Bettlern, Krüppeln, Kranken und
Siechen gab. Und da er nun sah, wie viele in seinem Land unglücklich waren,
hieß er sie alle zu sich kommen. Und es kamen Unglückselige, Krüppel und Waisen
sonder Zahl, die der hohen Gnade gewärtigten, und ein jeder

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