Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
Auferweckung - wer hätte ihr
Glauben geschenkt, wäre da nicht der in die Wunde gelegte Finger gewesen oder
der gebratene Fisch, den man gemeinsam aß? Aber von dem Stempel mal ganz
abgesehen - Hand aufs Herz: Ist die Welt denn tatsächlich so schwarz, wie ihr
sie malt? Schaut euch doch mal um! Da die Gewitterwolken, wie sie bäuchlings
durch den Staub gekrochen kommen. Dort drüben auf der Bank hat jemand gegessen
und die Zeitung liegen gelassen, jetzt hockt da ein Spatz und pickt Buchstaben.
Und auf dem Wehr, seht ihr, blitzt ein Flaschenhals, die Flasche ist
zerbrochen, schwarz ragt der Schatten vom Mühlrad. Der Flieder riecht nach
billigem Parfüm und glaubt, dass alles gut wird. Selbst die Steine leben,
vermehren sich durch Bröckeln... Aber das ist wie den Mäusen gepfiffen, ihr
hört ja gar nicht zu. Kennt nur die eine Platte: überfallen, gefesselt, in den
Wald verschleppt, verprügelt und liegen gelassen. Vielleicht hatten die Prügel
ja ihren guten Grund? Schulden zum Beispiel - muss man die begleichen oder
nicht? Na also. Oder diese zwei Knaben, die wir neulich an einem Tag hier
hatten, die haben sich gemeinsam gestellt: Der eine behauptete aus einem
Kinderheim bei Moskau zu kommen und der andere aus Tschetschenien. Acht Tage
später hat die Polizei ihre Pässe geschickt, die hatten sie in einer Betonröhre
neben den Eisenbahngleisen versteckt, Arbeiter haben sie zufällig gefunden.
Beide aus Litauen. Auf Urlaub in der Schweiz. Hotels sind teuer, und so hatten
sie ein Dach überm Kopf und freie Kost. Außerdem ergab die Knochenanalyse,
dass beide weit über sechzehn waren. Stempel eins, Stempel zwo. Oder der
Antrag einer Familie: Vater, Mutter, Tochter Jerusalems. Gaben vor, Flüchtlinge
aus Judatin zu sein - außer Stande, die Verfolgungen durch die Urslawen zu
ertragen. Das sind, sagen sie, keine Urslawen, das sind wahre Faschisten. Gott
erlöse die Juden, und wenn das nicht geht, dann wenigstens die Gojim! Sie
fingen an zu erzählen, wie sie von den Christen malträtiert worden waren: Mann
und Frau hatten sie die Vorderzähne ausgeschlagen und die Tochter, die noch
keine zwölf war, vergewaltigt. Petrus befragte jeden einzeln, wie es sich
gehört. Papa und Mama sagten so ziemlich dasselbe aus, wie einen auswendig
gelernten Text: briefliche Drohungen, nächtliche Anrufe, Überfall auf offener
Straße vor der Haustür et cetera. Dann wurde das Mädchen hereingebeten. Durch
die offene Tür konnte man sehen, wie die Kleine sich bei Mama anklammerte,
nicht hereinwollte, aber die Mama sagte: Geh nur, hab keine Angst. Sie kam
herein, setzte sich auf die Stuhlkante. Petrus hielt ihr ein Täfelchen Schokolade
hin, zur Aufmunterung sozusagen, er hatte für diesen Zweck immer ein paar davon
im rechten Schreibtischkasten liegen. Das beinhalten die Vorschriften zwar
nicht, aber was ließe sich dagegen sagen? Und nun stellte Petrus die Frage, wie
man es denn zu Hause mit der Religion halte, und das Mädchen gab zur Antwort: Ei gewiss, wir gehen immer in die Kirche, und bekreuzigte sich brav, zur
Bekräftigung. Da hat das Mädel vor Schreck etwas durcheinandergebracht.
Wahrscheinlich ist der Herr Vater ein Großhändler in Nöten, und mit den
urslawischen Geschäftspartnern ist nicht zu spaßen. Für ihr Gesuch haben sie
sich eine Nullachtfünfzehn-Legende ausgesucht, auf Nummer sicher, nach dem
Motto: Will da etwa einer den Judäern das Mitgefühl versagen? Wird schon
klappen, werden sie sich gedacht haben, zumal fehlende Vorderzähne sich
schlecht simulieren lassen, und auch die Vergewaltigung des Kindes entsprach
laut medizinischem Gutachten den Tatsachen. Stempel... Und erst, wenn es ans
Unterschreiben des Protokolls geht - was man da nicht alles erlebt! Der eine
nickt nur devot, wie um zu beteuern: Wir sind ungebildete Leute und
unterschreiben alles; der andere möchte unbedingt noch die Orthografie der
Ortsbezeichnungen abgleichen. Wieder ein anderer, erschienen mit einem Packen
Bescheinigungen aus allen nur erdenklichen Klapsmühlen, Kittchen und Knochenflickereien,
tat kund, er traue auf dieser Welt niemandem mehr, und verlangte eine
schriftliche Übersetzung des Protokolls - die mündliche genüge ihm nicht, und
was er nicht zuvor selbst gelesen habe, unterschreibe er schon aus Prinzip
nicht. Dafür bekam er von Petrus gleich den Stempel. Am liebsten hätte er noch
einen Sitzstreik veranstaltet. Die Wache musste gerufen werden und mit der
Hellebarde fuchteln. So einer steht auch in unserer

Weitere Kostenlose Bücher