Schischkin, Michail
linke Teil der Schlachtreihe vorauswogte, begann der zurückbleibende Teil
im Lauf nachzueilen; zugleich erhob sich das Kriegsgeschrei, das sie dem Enyalios
zu Ehren anstimmen, und nun rannten alle. Die Soldaten schlugen mit den
Schilden gegen die Speere, um den Pferden Schrecken einzujagen. Die Armeen
prallten zusammen, fuhren ineinander und verhakten sich wie zwei Kämme.
Antwort: Sie denken
wohl, als Handschuh habe ich von nichts eine Ahnung? Null? Ich bin ein
Handschuh, mag sein - aber ein denkender! Meinen Sie, ich wüsste nicht, dass
Winterland das Eine ist und Mlywo etwas ganz anderes? Im Winterland weht es das
Leben bei Rot über die Straße wie Pulverschnee, hopp und weg; im Mlywo ist der
Schnee vom vergangenen Jahr da - nass und pappig, lässt sich gut zu einer
lockeren, duftigen Kugel rollen, mit Eschensamen inwendig, außen erdbeschmiert,
als Baustein für eine Burg. Die unzugänglich sein soll. Uneinnehmbar. In dieser
Burg ist alles Mögliche gelagert, auch ein Vorrat an Schneebällen, um die Jungs
von der Straße zu vertreiben, in der die Orotschen wohnen. Was im Winterland
war, das ist alles dahin. Im Winterland geht alles vor die Hunde. Der Sommer,
die Kindheit. Ihre beiden zum Beispiel, Daphnis und Chloe, wurden als Kinder in
ein und denselben traurigen Zoo geführt. Da schwimmen Brotrinde und Bonbonpapiere
in einem Becken voller Entengrütze. Klebriges Eis läuft die Unterarme hinab. Im
Affenzwinger wird gerammelt. Sägespäne, uringesättigt. Penetranter Tiergeruch.
Durchgedrehte Raubkatzen in rostigen Käfigen, gepeinigt von Hitze und
Melancholie. Die Kassiererin in der Bude, auch sie schon halb irre vor Enge und
Bedrängnis, tobt hinter ihrer Luke. Und dann, als das Tauwetter einsetzte, ist
dieser ganze Winterlandzoo mitsamt Tieren, Käfigen, Gerüchen und der
Kassiererin in der Bude dahingeschmolzen. Alle tot: die Tiere, die Gerüche, die
Kassiererin. Dagegen hier, im Mlywo, ist alles so geblieben, wie es war, Zoo
bleibt Zoo, weder den Tieren noch der im schwarzen Wasser gammelnden Brotrinde
und dem Eis an den Handgelenken wird etwas geschehen, die Kassiererin in ihrer
Bude wird allzeit toben und niemals sterben. Im Winterland ist womöglich gar
keine Chloe mehr da, im Mlywo füttert sie ihre Puppe mit Papierfetzen wie
immer. Auf dem Friedhof wachsen Walderdbeeren, doch die Oma hat gesagt, was
hier wächst, soll man nicht pflücken und essen, denn das ärgert die Toten, und
sie könnten sich rächen; dort auf dem Friedhof, zwischen Toten und Grabsteinen,
kommt sie sich auf einmal unerhört lebendig vor. Am ersten Ferientag hüpft sie
von der Vortreppe in den Garten und landet mit dem nackten Fuß auf einem im
Gras liegenden Rechen. Sie bastelt aus einem Schuhkarton ein Haus, schneidet
eine Tür aus, steckt eine Hand hinein, klopft mit der anderen an und fragt:
Darf ich reinkommen? - lässt die andere Hand aber nicht ins Haus. Sie hat ein
Stück Eierkuchen auf die Gabel gespießt und hält es Mama hin, stößt ihr die
Gabel aus Übermut in den Mund, dass die Zinken in den Gaumen stechen und Blut
fließt. Sie sehnt sich danach, dass der Vater sie ins Bett bringt und erzählt,
wie die Pantoffeln, stellt man sie fein ordentlich vor das Bett, des Nachts in
wunderbare Länder laufen und Träume von da mitbringen, die sie den Kindern
unters Kopfkissen legen. Sie lernt das Tauchen - Oma ist dagegen, Opa sagt:
Tauchen ist gesund! -, und wenn ein Mädchen genauso stark und furchtlos sei wie
ein Junge, das könne im Leben nicht schaden. Den Schlüssel legt sie immer unter
den Ziegelstein links von der Außentreppe, da, wo der Phlox steht; als sie
einmal den Stein anhebt, ist da ein Tausendfüßler. Nachts versucht der
Heckenrosenstrauch seine Zweige durch das Fenster zu schieben. Ihr wächst die
linke Brust, die rechte aber nicht. Sie betrachtet sich im Spiegel: Eklig, das
alles, und der Finger riecht nach Zoo. Sie denkt: Wo bin ich ich und wo nicht? Ist
die Haut die Grenze? Ist sie nur mein Doppelgänger? Ist sie der Sack, in den
sie mich gesteckt haben, um mich irgendwohin zu schleppen? Was bleibt von mir,
wenn man den Körper abrechnet? Auf der Datscha kommt, wenn man nach ihm pfeift,
ein pickliger Hütejunge über den Zaun gestiegen. Er ist verlegen, weil er ihren
Augen ansieht, dass sie mitbekommen hat, wie er gestern Nacht, als sie ins Bett
ging, im Fliederbusch saß und spannte. Es gibt Federballschläger, aber keinen
Federball. Sie probieren es mit Kiefernzapfen. Die fliegen weg mit hellem
Klang,
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