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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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dass der Flug nach dem Reglement des Nationalen Aeroklubs
durchgeführt und dann als gültig anerkannt wird, wenn das Flugzeug sich
mindestens drei Minuten in der Luft hält. Kusnezow, von frenetischem Beifall
begrüßt, setzt sich in seine Bleriot, die tatsächlich wie ein Schmetterling
aussieht. Das Flugzeug rollt an, löst sich für einen Moment vom Boden, fällt
aber gleich wieder herab und bleibt auf dem rechten Flügel liegen. Das Publikum
wird damit vertröstet, dass die Eintrittskarten für den nächsten Flugversuch in
ein paar Tagen, wenn Propeller und Tragfläche repariert sind, ihre Gültigkeit
behalten. Aber auch eine Woche später hat der Luffpionier kein Glück, legt kurz
nach dem Abheben eine Bruchlandung hin und verlässt die Stadt ruhmlos, mit
seiner zertrümmerten Bleriot im Schlepptau. Das lässt Katjas Liebe zu Kusnezow
erkalten. Dafür hat Sascha Grund zum Frohlocken, denn kurze Zeit später ist es
Haber-Wlyhski, der mit seiner Farman in Rostow weit länger als drei Minuten
über Park und Publikum kreist.
    Auch
Mascha hat ihre Liebesgeschichte: Boris Müller, der Sohn des Deutschlehrers im
Knabengymnasium, macht ihr den Hof. Ich nehme lebhaften Anteil an der Affäre,
bin der Schwester beim Austausch der »Kassiber« behilflich. Ein unbekannter
Kitzel ergreift mich: Ich überbringe nicht einfach bloß Zettel, ich diene der
Liebe! Mascha fragt mir Löcher in den Bauch: Wie nahm er den Brief entgegen,
was sagte er und in welchem Tonfall, nachdem er ihn gelesen, wie war sein
Gesichtsausdruck? Ist Boris bei uns zu Besuch, schließen sich die beiden
mitunter in Maschas Zimmer ein, und ich muss sie mit einem verabredeten Signal
warnen, wenn Mama auftaucht. Hinter der Tür sind erregte Stimmen in gedämpfter
Lautstärke zu hören, fast scheint es, als stritten sie sich. Dann ist es
plötzlich still. Worüber kann man so lange schweigen?
    Boris will
Offizier zur See werden. Seine Briefchen voller Liebesschwüre schreibt er in
Schönschrift, so regelmäßig wie Bienenwaben.
    Boris und
Mascha gehen in den Kinematografen und nehmen mich mit. Ein Farbfilm über
Schmetterlinge, ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Das sei von Hand
gemacht, erläutert Boris: Arbeiterinnen in der Filmfabrik malen die Bilder
einzeln aus und verderben sich die Augen dabei, werden blind davon. Dieser
simple Zusammenhang bringt mich aus der Fassung: Jemand muss erblinden, damit
wir schöne Schmetterlinge zu sehen kriegen!
    Boris ist
Lutheraner, und einmal beim Spaziergang zu dritt schauen wir in eine
protestantische Kirche. Ich bin erstaunt, dass die Leute dort im Sitzen beten.
    Mascha
wird nicht müde, sich im Spiegel zu betrachten, dreht sich dabei so, dass die
Hügelchen auf ihrer Brust gut zu sehen sind. Sie macht sich Sorgen, dass bei
ihr nichts wächst. Dafür wächst es schon bei mir, was wirklich noch etwas früh
ist.
    Ich sehe,
dass die Schwester in ihrem geheimen Kalender irgendwelche Tage umkringelt,
frage sie unvermittelt danach - und das ausgerechnet in dem Moment, wo Boris zu
Besuch ist: Sie wollen gerade zu ihm gehen, um zu musizieren, sind beim
Aussuchen der Noten. Kaum habe ich gefragt, merke ich mit Schrecken, dass es
wohl die falsche Frage war. Mascha läuft rot an, Boris ebenso. Mit Wucht haut
die Schwester mir das Notenbuch auf den Kopf, rennt in ihr Zimmer und kommt
nicht wieder heraus. Boris klopft, sie macht nicht auf. »Dumme Gans!«, zischt
er durch die Zähne, dann geht er. Ich weiß bis heute nicht, ob sich das auf
mich bezog oder auf Mascha.
    Am selben
Unglückstag stolpert Mascha beim Tischdecken und schlägt sich die Lippe an der
Tischkante auf. Das Blut ist schwer zu stillen. Die nächsten Tage läuft die
Schwester mit einem Pflaster unter der Nase herum beziehungsweise weigert sich
überhaupt, ihr Zimmer zu verlassen. Sie fürchtet, jemand könnte sie mit diesem
Gesicht sehen. Immer wieder bricht die Hysterie bei ihr aus, sie wäre nun
missgestaltet, und es hätte sich ein für alle Mal mit der Liebe. Wir versuchen
Mascha zu besänftigen, doch sie will auf niemanden hören. »Raus hier!«, brüllt
sie mich an. Ihr kommt es so vor, als wäre ich an allem schuld. Ich weiß, dass
ich nichts dafür kann, und verstehe, dass ich trotzdem schuldig bin. Unter
Tränen erzähle ich Mama, was vorgefallen ist. »Die Frau wird von der Natur
einmal monatlich daran erinnert, dass sie Mutter werden kann«, lautet ihre
Antwort. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass Mama mich nicht versteht.
Nichts zu machen.

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