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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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muntereren Eindruck
machte, jedes zweite Wort war amore. Über den
schmalen Beichtkabinen gab es rote Lämpchen, die beständig aus- und wieder
angingen. Eine japanische Reisegruppe zwängte sich vor ihnen durch die Menge -
voranschwebend ein Skistock mit grünem Wimpel am oberen Ende.
    »Zufrieden?«,
fragte Isolde. »Gehen wir!«
    Bevor sie
gingen, verharrten sie kurz an der Sakristei links vom Eingang - dort fand
gerade eine Trauung statt. Sie spähten durch das Gitter. Der Pater hielt seine
Ansprache vor dem sitzenden Brautpaar. Wie er mit den Armen fuchtelte, sah
lustig aus. Ihm schienen die Worte nicht zu genügen; ganz auf die italienische
Art beschwor er das junge Paar mit inbrünstigen Gestikulationen, einander zu
lieben, bis dass der Tod sie scheide, und noch darüber hinaus.
    Isolde und
der Dolmetsch traten ins Freie und holten den Stadtplan hervor, mit dem sie
durch Rom liefen. Der Plan war alt und abgenutzt, mit Rissen an den Falten,
außerdem schon einmal in den Regen geraten, er bestand nur noch aus Fetzen.
Aber einen neuen mochte Isolde nicht kaufen, sie sei an diesen gewöhnt, sagte
sie. Wahrscheinlich ist sie damals damit durch Rom gelaufen, mit Tristan,
dachte er.
    Ganz in
der Nähe musste sich San Clemente befinden, die Kirche, in der Kyrill begraben
lag - jener Kyrill, nach dem die Schrift ihren Namen hat, ohne die im Leben des
Dolmetschs gar nichts ginge.
    »Lass uns
hingehen!«, schlug der Dolmetsch vor, doch Isolde protestierte: Ihr täten die
Füße weh, sie gehe nirgends mehr hin, sagte sie.
    Sie
setzten sich in ein Straßencafe.
    »Warst du
beim vorigen Mal dort?«
    »Nein.«
    Der
Dolmetsch suchte sie zu überreden: Es sei gar nicht weit, zehn Minuten in
Richtung Kolosseum, wo sie in die Metro steigen und zum Hotel fahren konnten.
»Die neuen Sandalen reiben«, hielt Isolde dagegen. »Und sowieso ist mir
unbegreiflich, was einen dazu treibt, sich alle diese wundersam zusammengewachsenen
Ketten, sonst wo aufgelesenen Späne und unklar wessen Gebeine anzugucken!«
    Der
Dolmetsch wusste, warum er unbedingt dorthin wollte.
    Er musste
sie Tristan entführen - weg aus deren beider Rom, in ein anderes.
    Der
Dolmetsch erzählte ihr von Kyrill. Weil er ihr etwas erzählen wollte, was
Tristan bestimmt nicht gewusst hatte. Und dem Dolmetsch kam es auf einmal so
vor, als erzählte er es nicht ihr, sondern ihm. He, Tristan, jetzt erzähl ich
dir was, ätsch, das weißt du noch nicht! Das alte Chersones heißt heute
Sewastopol, und hier, mein lieber Tristan, fängt eine Welt ohne dich an. Da wo
der heilige Clemens ertränkt wurde, dritter römischer Papst und Schüler von
Petrus, als Märtyrer, da wurden während des Bürgerkrieges Offiziere ertränkt.
Sie bekamen alte Anker und sonstiges Altmetall oder Steine angebunden, manche
um den Hals, manche um die Füße - so wurden sie ins Wasser geworfen. In
irgendwelchen Memoiren hatte der Dolmetsch gelesen, die Taucher, die später an
der Stelle den Meeresgrund untersuchten, seien sich vorgekommen wie in einem
Wald: Die toten Körper strebten aufwärts und standen, da sie nicht loskamen,
senkrecht, manche kopfüber, manche kopfunter, und der Strömung wegen alle
schräg nach derselben Seite, wie Windflüchter; bei einem hatten sich die Hemdzipfel
gelöst und flatterten an ihm wie Flügel. Und an ebendieser Küste war einst
Kyrill vorbeigekommen, dem die Kyrilliza, des Dolmetschs Buchstaben, aus den
Wolken in den Schoß gefallen war. Der Empfänger der Himmelszeichen berichtete
den Leuten in Chersones von dem Martyrium, welches Clemens widerfahren war; sie
wussten nichts mehr davon und glaubten ihm nicht. Da schwamm Kyrill zu besagter
Stelle und begann zu suchen, denn er wollte die Chersonesier überzeugen. Der
Meeresspiegel hatte sich in den Jahrhunderten seit Clemens gesenkt, das Meer
war zurückgewichen, eine Sandbank hatte sich gebildet. Kyrill suchte im Sand,
konnte zunächst nichts finden, die Chersonesier machten sich lustig über ihn.
Kyrill ließ sich nicht beirren, schaufelte weiter, denn er war ja nicht auf
Knochen aus - wen interessieren die? Es ging nicht um Rippen und Schädel an
sich, es ging um den Beweis. Eine Rippe, blank gescheuert von Sand und Meer,
sollte in der Sonne aufglänzen, das war es. Ein Beweis musste herzu, dass es
Gott gab und also keinen Tod. Dafür taugte nur ein Wunder. Und das Wunder
geschah, etwas glänzte im Sand, blinkte in der Sonne - eine Rippe. Blendend
weißes Gebein. Man grub weiter, fand den Kopf und alles Übrige.

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