Schischkin, Michail
Am
verblüffendsten war der Duft. Gerüche, das ist Gottes Sprache, so viel wusste
man. Diese wohlriechenden Gebeine trug Kyrill also nach Rom. Und wurde später
selbst an gleicher Stelle begraben wie Clemens. Vermutlich hatten auch seine
Knochen diesen Duft.
»Schon
wieder Knochen!«, seufzte Isolde. »Na schön, gehen wir hin.«
Sie
blieben noch einen Moment in dem Café sitzen, tranken Espresso aus winzigen
Tässchen wie aus Eischalen, bevor sie sich nach San demente aufmachten.
Unterwegs müsse sie aber unbedingt noch in eine Apotheke, Pflaster kaufen, so
Isoldes Bedingung. Es fand sich aber keine Apotheke auf dem Weg; Isolde
hinkte, als sie ankamen. In stummer Verärgerung betrat sie mit ihm die Kirche,
setzte sich auf eine Bank und verkündete, in die Gruft komme sie nicht mit.
Der
Dolmetsch ging allein nach unten.
Er
wandelte unter den spärlich beleuchteten Gewölben einher und war nun
seinerseits wütend auf Isolde, mehr noch auf sich, dass er sie mit der Blase am
Fuß in diese Kirche geschleppt hatte; sie hätten genauso gut morgen oder
übermorgen herkommen können.
Überall
lagen zerbrochene Steine herum. Die Luft war klamm. Touristengruppen schoben
sich vorbei, die noch ein Stockwerk tiefer gelotst wurden, wo sich in ebenso
feuchten, düsteren Grüften eine Mithraskultstätte befand. Der Dolmetsch
kraxelte ihnen nach - nichts als feuchte Trümmer auch dort.
In der
Düsternis der Gänge stieß er dann endlich auf Kyrills Grabmal, das sich etwas
abseits befand. Auf der Steinplatte lagen Papierblumen, dick mit Staub bedeckt.
Die Wände ringsum waren voller Gedenkplaketten - darauf verewigt allerlei
vergessene Herrscher, die ihre Dekrete in kyrillischer Schrift erlassen
hatten.
Auf einmal
stand Isolde vor ihm, die, den Stadtführer in Händen, doch noch
heruntergekommen war.
»Da bist
du ja!«, sagte Isolde. »Ich hab oben gesessen und gelesen. Pass auf: Hier gibt
es überhaupt keine sterblichen Überreste von Kyrill. Die haben sie 1798
rausgeschmissen, da war hier ein Aufstand, sämtliche Knochen flogen auf die
Straße. Und es hat auch keinen Märtyrerpapst Clemens gegeben, oder besser
gesagt, es gab zwei: Der eine Clemens war tatsächlich Märtyrer, aber Konsul
und nicht Papst, der andere war Papst, aber kein Märtyrer. Und erst später hat
die Legende sie zu einem verschmolzen. Außerdem steht hier noch, dass Petrus
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge überhaupt nie in Rom gewesen
sein soll!«
Eine
Gruppe Japaner zog vorüber, ohne zu säumen. Sie wurden ins Mithräum
geschleust. Sorgsam hoben sie beim Gehen die Füße, um nicht auf dem buckeligen
Lehmfußboden ins Stolpern zu geraten. Einer nach dem anderen verschwanden die
Touristen in dem schmalen Gang, der in die benachbarte Gruft führte. Isolde
und der Dolmetsch stiegen wieder hinauf und traten auf die Straße, wo ihnen
nach dem Odem der Unterwelt selbst dieser benzingeschwängerte Wind wie Frischluft
vorkam, und liefen langsam, mit häufigen Pausen in Richtung Kolosseum. Isolde
hinkte und hielt sich an ihm fest.
Auch hier
ein Verkaufsstand am anderen. Sie blieben vor einem mit Rom-Stadtführern in
allen Sprachen stehen. Der Dolmetsch griff nach einer russischen Ausgabe,
blätterte. Zeigte sie Isolde mit einer Geste wie: Schau her, was die hier für
einen Mist anbieten, nichts als Bilder mit Unterschriften, für etwas
Ordentliches reicht es wohl nicht. Derweil kam der Verkäufer gesprungen, sprach
in Italienisch auf ihn ein, rühmte das Buch augenscheinlich über den grünen
Klee, versuchte es dem Dolmetsch aufzuschwatzen, geradezu aufzunötigen, tippte
mit dem Finger auf die Abbildungen: Sieh doch, die schönen Bilder! Der
Dolmetsch wollte ihm das Buch in die Hand drücken und stellte sich dabei
ungeschickt an, das Buch fiel zu Boden. Isolde sprang herzu und hob es auf,
lächelte den Verkäufer an. Er solle gefälligst auch lächeln und um
Entschuldigung bitten, zischte sie den Dolmetsch an.
»Wie, er
dreht mir irgendeinen Dreck an, und ich soll gute Miene machen?«
»Ja«,
sagte Isolde. »Höflich zu lächeln ist das Mindeste.«
»Warum
sollte ich das?«
»Darum.«
»Das sehe
ich überhaupt nicht ein.«
»Solltest
du aber.«
Als sie
sich ein Stück von dem Stand entfernt hatten, fuhr Isolde ihn an: »Du bist ein
Grobian!«
»Aha. Da
war Tristan wohl anders«, brach es aus ihm hervor.
Isolde
blieb stehen. Sah dem Dolmetsch in die Augen. Staunen in ihrem Blick, Kränkung
und Schmerz. Abrupt drehte sie sich um und
Weitere Kostenlose Bücher