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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Stelle war der Spalt tot. Sie fanden keinerlei Anzeichen für Thermalenergie. »Zieh mal die Falte entlang«, sagte Lindsay. »Und achtet auf Wärmeflecken.« Er hatte zu lange gelebt, als daß er sich den Fehler der Ungeduld leisten mochte. Nicht einmal in diesem Augenblick.
    »Soll ich die Haupttriebwerke zuschalten?« fragte Pilot.
    »Damit das Wasser ganze Seemeilen weit um uns kocht? Wir sind tief unten, Pilot. Das Wasser hier ist hart wie Stahl.«
    »Wirklich?« Pilot gab ein elektronisches Knirschen von sich. »Also, mir wäre es lieber, gar keine Sterne zu haben, als sowas ausgewaschen Blasses.«
    Stundenlang glitten sie die Falte entlang, ohne auf einen Lavaausbruch zu stoßen. Vera schlief; Lindsay schlummerte kurz, das Nickerchen eines alten Mannes, katzenhaft-halbwach. Pilot, der grundsätzlich nur bei offiziellen Anlässen schlief, weckte die beiden. »Heiße Stelle«, sagte er.
    Lindsay checkte das an seinem Pult. Das Infrarot zeigte träge Hitze tief aus dem Innern eines hochragenden Kliffs. Diese Klippe war von extremer Seltsamkeit: eine lange, euklidisch glatte gekippte Fläche, die sich abrupt aus einer Ödnis breiartigen und brockenbedeckten Terrains erhob. Eine klarwinkelige Vorbergkette am Fuß des Absturzes lag merkwürdig verquer da, beinahe zerknittert und verknautscht, über einer kuppelartigen Lavaerhebung.
    »Schick die Drohne raus!« sagte Lindsay.
    Vera holte die Roboterkontrollen unter ihrem Sitz hervor und setzte sich einen Stereo-Augenkontakter auf. Der Roboter skullte mit ungehinderten Ruderbewegungen zu der abnormen Klippe hinaus. Seine Scheinwerfer glosten. Lindsay schaltete sein Videobord auf die Optik des Robots um.
    Die verschobene Kliffwand war bemalt. Auf ihr waren weiße Streifen, lange sich abschälende »Gedankenstriche«, eine Art Trennstriche. »Das ist ein Wrack«, sagte er plötzlich. »Das ist Menschenwerk.«
    »Unmöglich«, sagte Vera. »Das ist ja so groß wie eines der großen Raumschiffe. Das hätte ja Tausende von Passagieren befördern können.«
    Dann aber entdeckten sie etwas, das Klarheit brachte. An dem glatten kliffartigen Deck des enorm großen Schiffes war eine Maschine festgezurrt. Die Jahrhunderte hatten sie korrodieren lassen, doch die geflügelte Kontur war noch klar erkennbar. »Das ist eine Flugmaschine«, sagte Pilot. »Und sie hatte Strahltriebwerke. Das da muß einmal so eine Art Unterwasser-Spaceport gewesen sein, nein, eher wohl ein Airport.«
    »Ein Ratfish!« jubelte Lindsay. »Vera, ihm nach!«
    Der Surveyor stürzte hinter dem Tiefseegeschöpf her. Der langschwänzige stumpfköpfige Fisch war etwa so lang wie ein Mannsunterarm, und er schoß wild über das weite Deck des Flugzeugträgers, um einen Schlupfwinkel zu finden. Er verschwand in einem zerklüfteten Spalt der vielstöckigen Ruine der ehemaligen Kommandobrücke. Der Roboter machte abrupt halt. »Moment mal!« sagte Vera. »Wenn das dort ein Schiffswrack ist, woher kommt dann die Wärmestrahlung?«
    Pilot checkte seine Instrumente. »Es ist radioaktive Wärmestrahlung. Ist das ungewöhnlich?«
    »Spaltungsenergie«, sagte Lindsay. »Die müssen einen Atomreaktor an Bord gehabt haben, als sie gesunken sind.« Sein Taktgefühl hinderte ihn zu bemerken, daß es sich möglicherweise auch um atomare Waffen gehandelt haben könne.
    Vera sagte: »Ich ersehe aus meinen Instrumentendaten, daß da aufgelöste Organismen sind. Um die Säule drängen sich Geschöpfe, um sich zu wärmen.« Über die druckverstärkten Arme der Robodrohne zerrte sie an einer altmodischen Lukentür. Die verwitterte Metallegierung brach mit Leichtigkeit auf. Rost schoß hervor. »Soll ich es holen?«
    »Nein«, sagte Lindsay. »Ich will den Uranfang, das Ursprüngliche.«
    Vera holte die Drohne in die Garage zurück. Sie sprudelten weiter.
    Die Zeit verstrich; mit einer trägen Gedehntheit, die er früher für unerträglich gehalten hätte, rollte sich vor ihnen die Unterwasserlandschaft ab. Lindsay ertappte sich dabei, daß er wieder an den Czarina-Kluster dachte. Manchmal bereitete es ihm Unbehagen, daß die Verzweiflung, das Leiden, die dort herrschten, ihm so wenig bedeuteten. Der C.-K. lag in Agonie, seine Eleganz zerfiel zu eklem Schmutz, die feine raffiniert-kultivierte Ausgewogenheit war ein Nichts, zerfetzt und zerstört, und die Trümmer wie Samenkörner über die ganze Schismatrix verstreut. Aber: Tat er unrecht daran, das Sterben einer Blüte hinzunehmen - in der Hoffnung auf den Samen, den sie schenken

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