Schismatrix
Heimatwelt des Künstlichen Kids, eines Klons, wird von einer Wolke aus Orbitalstädten umgeben und von den blasierten Nachkommen der visionären Gründer bewohnt, die ein Jahrhundert damit verbracht haben, systematisch Raubbau an einem Nachbarplaneten zu treiben, um sich so die Rechte an Träumerei zu sichern. Träumerei ist ein idyllischer Ort, aber der Großteil der Bevölkerung lebt im Orbit und zieht es vor, sich über Video an den Schönheiten des Planeten zu erfreuen, eine Vorliebe, den die traditionell eingestellten ›Kampfkünstler‹ - eine Art ästhetischer Gladiatoren der Zukunft - fleißig zu ihrem Vorteil nutzen.
Künstlicher Kid, jung und aufstrebend, berichtet selbstbewußt von seinen Abenteuern, die ihn mit einer Anzahl seltsamer Typen, verfolgt von den Häschern des legendären Gründers von Träumerei, der aus einem Jahrhunderte dauernden Tiefschlaf wiedererwacht ist, durch das farbenprächtige Ökosystem der Welt führen. »Der Schwung, mit dem Sterling die Story erzählt«, meint Gregory Feeley in einer Besprechung, »ist ihr attraktivster Zug, aber die Hintergrundelemente des Romans, von denen keines ursprünglich von Sterling stammt, sondern die aus grundverschiedenen Quellen herangezogen werden, die von O'Neills Weltraumkolonisierungstechnologie bis zur Punk-Ikonographie reichen, werden mit bemerkenswerter Erfindungsgabe kombiniert.« Das für den Cyberpunk wichtigste Moment ist jedoch die Auseinandersetzung mit der Computertechnologie. Erst führt der Roman den Gedanken ein, daß die Künstliche Intelligenz-Forschung als reizlos und unheilvoll abzulehnen sei, dann setzte er sich für die Entwicklung sich selbst reproduzierender Arbeitsmaschinen ein, um Wohlstand herbeizuführen und das menschliche Potential freizusetzen. Künstlicher Kid wird damit zum prototypischen Cyberpunk, der - wie Timothy Leary kürzlich schrieb - »jeden verfügbaren Dateninput dazu verwendet, um für ihn zu denken«.
In den folgenden Jahren veröffentlichte Sterling eine Reihe von Erzählungen, die einleiteten, was man die zweite Phase im Werk des Autors nennen könnte. Es handelte sich um eine ›future history‹, entstanden zwischen 1982 und 1985 und aus insgesamt sechs Texten bestehend, die im sogenannten Mechanisten/Former-Universum angesiedelt sind, wo autonome Orbitalstädte alle Beziehungen mit einer erschöpften Erde abgebrochen haben und überall im Sonnensystem menschliche Siedlungen entstanden sind, die im Kampf um die Vorherrschaft zwischen den genetisch maßgeschneiderten Formern und den kybernetisch aufgerüsteten Mechanisten gezwungen werden, Partei zu ergreifen. Während keines seiner bisher entstandenen Werke große Aufmerksamkeit erregte, wurde dieser Zyklus überaus positiv aufgenommen. »Swarm«, »Spider Rose«, »Cicada Queen« und »Sunken Gardens« zeigten größere Präzision und Kontrolle als Sterlings vorangegangene Arbeiten und wurden alle für Preise nominiert. »Twenty Evocations: Life in the Mechanist/Shaper Era«, die letzte Erzählung aus dem Zyklus, hat überdies den Aufbau mit Sterlings drittem Roman gemeinsam, dem vorliegenden Titel Schismatrix , der den Höhepunkt und krönenden Abschluß des Zyklus bildet.
Tom Maddox, selbst zu den Cyberpunk-Autoren gehörig, bemerkte über diese neue Phase in Sterlings Schaffen, daß sie wohl eher die biologischen als die ästhetischen Aspekte von dessen Visionen hervorhebe, die auf nachdarwinistischen Konzepten des Lebens als Information beruhten, welche sich zu immer höheren Ebenen der Komplexität weiterentwickelten. Dabei erfolge das Auftreten dieser neuen Ebenen in Form einer Reihe von Brüchen der gegenwärtigen Ordnung, von Sterling dargestellt als Übergriffe durch bisher unbekannte Arten und Weisen des Lebens. Die Bestange paßten des Informationszeitalters, das sind - wenigstens in Sterlings Cyberpunk-Universum - die Former und Mechanisten. Wie zwei verschiedene Spezies, die die gleiche ökologische Nische ausfüllen wollen, kämpfen sie darum, die Zukunft zu beherrschen. »Die Former«, heißt es in der Erzählung »Sunken Gardens« (1984), »hatten die Kontrolle über ihre eigene Genetik an sich gerissen und überließen die Menschheit einem Ausbruch künstlicher Evolution. Ihre Rivalen, die Mechanisten, hatten das Fleisch durch fortgeschrittene Prothesen ersetzt.« Anders als bei einigen von Arthur C. Clarkes oder Olaf Stapledons Romanen, die sich ebenfalls mit der Umwandlung der Menschheit und ihrem letztlich doch
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