Schismatrix
der, die den berühmten ›sense of wonder‹ propagiert, dieses kaum näher zu beschreibende emphatische Gefühl der Verklärung und des Aufbruchs zu neuen Ufern, das besonders die Gründerväter der SF so gerne beschworen haben. Bereits sein Werdegang läßt darauf schließen. Sterling, ein eingeschworener Leser der Zeitschrift Scientific American (dt. Spektrum der Wissenschaft ), wurde am 14. April 1954 in Brownsville, Texas, geboren. Im gleichen Jahr, in dem er sein vierjähriges Studium des Journalismus an der Universität von Austin mit dem Magistergrad abschloß, 1976, erschien seine erste Veröffentlichung, die Kurzgeschichte »Man-Made Self«, und zwar in der texanischen SF-Autoren vorbehaltenen und in geringer Auflage erschienenen Sammlung Lone Star Universe . Dabei hatte er schon mehrere Jahre zuvor mit »Living Inside« seine erste Kurzgeschichte an Harlan Ellisons SF-Anthologie Last Dangerous Visions verkauft, die jedoch bis heute noch nicht erschienen ist (und in SF-Kreisen mittlerweile den Rang eines Mythos einnimmt). Ellison war es auch, der Sterling dazu riet, seine Erzählung »Involution Ocean«, die in dessen Autorenwerkstatt entstanden war, zu einem Roman auszubauen, der 1977 unter gleichem Titel als Band der Harlan Ellison Discovery Series herauskam. Zwar möchte der Autor dieses Frühwerk, wie er es nennt, inzwischen lieber feierlich im (damals noch unentdeckten) Wrack der Titanic begraben sehen, doch nimmt es schon viele Aspekte seines späteren Schaffens vorweg, so etwa die Ausgefeiltheit des Stils und die Zeichnung der Charaktere, die bald zu Sterlings besonderen Stärken gezählt werden sollten.
Im wesentlich ist Involution Ocean (dt. Der Staubplanet , Knaur SF 5727, München 1980) ein farbiges SF-Abenteuer in der Tradition der Seefahrerromane. Ganz nach Art von Philip Jose Farmers The Wind Whales of Ishmael (dt. Ismaels fliegende Wale , Moewig SF 3508, München 1980), das bereits 1971 erschien und so etwas wie eine Fortsetzung zu Hermann Melvilles symbolistischem Roman Moby Dick darstellt, in der sich der Walfänger Ismael in einer fast wasserlosen Erde der Zukunft wiederfindet und von fliegenden Schiffen aus gegen mörderische Haie und geflügelte Wale kämpfen muß, malt auch Sterling in seinem ungewöhnlich ideenreichen Roman das Bild einer Welt, deren Staubmeere phantastische Lebensformen hervorgebracht haben, darunter Staubwale, die zu jagen eine der Existenzgrundlagen der Kolonisten darstellt. Das neu hinzutretende Element, das Sterling als künftigen CyberpunkAutoren aufweist, ist jedoch der Nutzen, der von einer Gruppe drogenabhängiger Touristen aus diesen Umständen gezogen wird. Teile der Wale dienen nämlich dazu, eine begehrte Substanz zu gewinnen, die den Motor für die gesamte Handlung abgibt.
Eingebunden in den Versuch, größere Mengen davon zu bekommen, ist die Suche nach den intelligenten Ureinwohnern dieser Welt und die Liebesbeziehung zwischen einem Menschen und einer Außerirdischen, die seitens der Frau nach jedem Liebesakt mit schmerzhaften Entzündungen bezahlt werden muß. Der Roman erregte bei seinem Erscheinen zwar Aufsehen, war kommerziell gesehen jedoch ein Mißerfolg.
Nach Abschluß seines Studiums reiste Sterling erst einmal zweieinhalb Jahre durch Europa und kehrte völlig abgebrannt wieder nach Texas zurück. Er heiratete und veröffentlichte 1980 seinen zweiten Roman, The Artificial Kid (dt. Video-Kid , Ullstein SF 31090, Berlin 1984), der Aspekte wieder aufnimmt, wie sie schon in Norman Spinrads Ende der sechziger Jahre zur Hochzeit der New Wave entstandenem Bug Jack Barron (dt. Champion Jack Barron , Moewig SF 3562, München 1982) angelegt sind, einem Buch, das wegen seiner schnoddrigen Sprache und der an Rocksongs ausgerichteten Diktion einiges Aufsehen erregte. Allerdings verquickt Sterling diese Aspekte hier mit seinem Talent im Ausmalen farbenprächtiger Welten und einem auktorialen Ich-Erzählton, der Christopher Priest zu der Bemerkung veranlaßte: »Man spürt, daß es bald zu spektakulären Gewaltausbrüchen kommen wird, und vom Leser wird erwartet, das zu verzeihen.« Ganz so schlimm geht es in dem Roman zwar nicht zu, aber deutlich tritt bereits der Punk-Aspekt im Stil des Autors zutage, der - später auch unter Bezug auf John Shirley - charakteristisch für die gesamte Cyberpunk-Bewegung werden sollte.
Wie Teile von Spinrads und Ellisons Schaffen trägt auch The Artificial Kid das Stigma des zornigen jungen Mannes: Träumerei, die
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