Schismatrix
merkwürdigen Schicksal befassen, sind Sterlings Visionen dabei von einer Intensität und Klarheit, wie man sie in letzter Zeit selten gekannt hat. Der sorgfältig recherchierte Hintergrund des wissenschaftlich Machbaren versieht sie mit einer Authentizität, die ein übriges dazu beiträgt, den extrapolierten Zukunftskosmos mit Glaubwürdigkeit zu versehen. Freilich macht das bestimmte Einwände gegen ein solches Konzept von unverhohlenem Darwinismus nur um so naheliegender.
In einem Interview antwortete Sterling auf die Frage, ob er glaube, daß heutzutage ein starker evolutionärer Druck auf der Menschheit laste: »›Evolution‹ ist ein kompliziertes Konzept. Evolution, wie man sie klassischerweise definiert, operiert nicht auf der gleichen Zeitskala wie technologischer Fortschritt. Die Former-Serie postuliert eine Zukunft, in der die technischen Fortschritte die menschliche Rasse in Untergruppen zersplittern, die man nicht mehr als menschlich klassifizieren kann. In einem Sinne sind diese ›posthumanen‹ Gruppen neue Arten, aber in einem anderen und wahreren Sinne sind sie technologische Artefakte, industrielle Produkte. Es ist eine Frage der Definition. Augenscheinlich ändert sich der Genpool der modernen Bevölkerung drastisch, großteils dank der Geburtenkontrolle und Gesundheitsfortschritte in der Dritten Welt. Dies ist unser bestes Beispiel für klassischen evolutionären Druck‹. Das hat wenig zu tun mit den gernsbackschen Sci-fi-Phantasien ›höherentwickelter‹ Lebewesen mit sechs Fingern und geschwollenen Stirnen; der Art von Gecken, die in weißen Gewändern und durchsichtigen Sandalen herumlatschen. Ich sehe andere und vergleichsweise bizarrere Effekte für die Bevölkerung voraus, darunter etwa: Prothesen, Lebensverlängerung, Neurotechnologie und vorbehaltlose genetische Manipulation. Wir brechen die Gesetze der Evolution, und vielleicht verändern wir schon bald ihren Aufbau.« Man muß an dieser Stelle festhalten, daß Sterling sich durch seine Ausführungen einer gesteuerten Evolution des Vorwurfs eines Neodarwinismus' aussetzt, wie er schon mehr als einmal zu den schrecklichsten Auswüchsen der Menschenverachtung geführt hat. Wer dermaßen freimütig mit Begriffen wie ›posthuman‹ und evolutionärem Druck‹ hantiert, begibt sich in bedrohliche Nähe zu einer von Wissenschaft und bloßer ›Machbarkeit‹ genährten Politik, die sich für faschistoide Strukturen in der modernen Informationsgesellschaft von morgen ausspricht - gerade weil, um mit Sterling zu sprechen, Evolution nicht auf der gleichen Zeitskala abläuft wie technischer Fortschritt.
Ungeachtet dieses Einwandes sind Sterlings Former/MechanistenTexte faszinierende Extrapolationen heutiger Zustände, und »Swarm« (1982), die erste Erzählung des Zyklus, enthält bereits viele charakteristische Themen der nachfolgenden Arbeiten: Kämpfe zwischen den Gruppen als hauptsächliche Form der Auseinandersetzung, der dabei aufgebotene große Fanatismus, der hohe evolutionäre Einsatz und vor allem die dem Former-Universum innewohnende Dynamik, die als Ausgleich zu den oben angenommenen Gefahren betrachtet werden kann. »Dieser Drang, zu expandieren, zu erforschen, zu entwickeln, ist es, der euch auslöschen wird«, erklärt der Agent des Schwarms, ein Vertreter einer Art Bienenstockorganismus. »Ihr nehmt naiv an, daß ihr ewig damit weitermachen könnt, eure Neugier zu befriedigen. Es ist eine alte Geschichte, die unzähligen Rassen vor euch durchgemacht haben. Innerhalb von tausend Jahren - vielleicht ein wenig länger - wird eure Spezies verschwunden sein ... Wissen ist Macht! Nehmt ihr an, daß eure zerbrechlichen kleinen Gestalten - eure primitiven Beine, eure lächerlichen Arme und Hände, euer winziges, kaum gefaltetes Gehirn - all diese Macht aufnehmen kann? Schon zerbirst doch eure Rasse unter dem Anprall eurer eigenen Sachkenntnis.« Während »Swarm« (1982) schließlich damit endet, daß die irdische Hauptfigur als Beweis für die Überlebenskraft der Menschheit beim Schwarm bleibt, der künftig bestrebt sein wird, sie in seinen Organismus aufzunehmen, steht im Zentrum von »Spider Rose« (1982) die Sehnsucht nach menschlichen Gefühlen, die eine isoliert lebende Mechanistenfrau fast in den Wahnsinn treibt, würden nicht biochemische Mittel in der sie umgebenden Nährflüssigkeit ihre geistige Gesundheit aufrechterhalten. Sie verliebt sich in ein außerirdisches Wesen, das sie jedoch in der Folge eines Angriffs durch
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