Schismatrix
Renaissance erlebt haben, außer bei Bruce Sterling am interessantesten bei William Gibson und Kim Stanley Robinson, der mit seinem Roman The Memory of Whiteness (1984; dt. Sphärenklänge , Science Fiction Special 24098, Bergisch Gladbach 1987) ein interessantes Gegenstück zu Sterlings Roman schrieb, in dem sich nicht die Menschen den Welten anpassen, sondern die Welten entsprechend den Bedürfnissen der Menschen umgeformt werden. Mit Schismatrix soll jedoch laut dessen Autor der endgültige Schlußpunkt unter den Mechanisten/Former-Zyklus gesetzt sein, und wie zur Bestätigung hat sich Sterling im Anschluß daran gleich einer ganzen Reihe verschiedener Projekte gewidmet, die mit jenem Universum nicht mehr viel gemeinsam haben. Auch das, was leichthin als Cyberpunk bezeichnet wurde, scheint damit - wenigstens was die Generation der Gründerväter anbelangt - endgültig zum Abschluß gekommen zu sein. Science Fiction, deren Fragen gewisse Traditionen hat, welche die Gesellschaft umstrukturiert und eine kommende globale Kultur und Ökonomie voraussieht, die auf einem Informationsnetzwerk beruht, hatte es geschafft, die meisten früheren Zukunftsentwürfe des Genres zur Unscheinbarkeit zu degradieren, und auch der Cyberpunk, einst so glücklich von Sterling und Gibson entworfen, war mittlerweile zu einem formelhaften Gebilde erstarrt, in dem sich eine Vielzahl phantasieloser Nachahmer tummelte.
Freilich war Sterlings politischer Anspruch mit Beendigung seiner ›future history‹ nicht erloschen. In seinem jüngst erschienenen vierten Roman Island in the Net (1988), dessen Titel offenkundig eine Hommage an Ernest Hemingways Island in the Stream (dt. Inseln im Strom ) ist, schildert er eine Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, in der die Abrüstung zur Realität geworden ist, die Kriege jedoch auf anderem Wege, nämlich über Computervernetzungen, ausgetragen werden. Mit Episoden, die in der Karibik spielen, und hochkarätigen Abenteuerszenen auf hoher See (insofern eine Reminiszenz an Sterlings Erstlingswerk), ist es ein äußerst lyrisches, tiefsinniges Buch, das sich aber durch das völlige Fehlen moralisierender Passagen auszeichnet. Laura und David, die beiden Protagonisten, sind die Entsprechungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts zum Yuppi, dem Young Urban Professional, dessen einziges Interesse seine selbstsüchtige Loyalität zur Gesellschaft ist, in ihrem Fall einem Konzern, der sich nach japanischem Vorbild vertraulich und väterlich um seine Angestellten bemüht. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Vernichtung der nuklearen Waffenlager unterliegt das einundzwanzigste Jahrhundert nicht länger der apokalyptischen Drohung des globalen Holocaust. Diese grundlegende Veränderung, einhergehend mit der Allgegenwart des Kommunikationsnetzes, führt zur reihenweisen Produktion von unmündigen und naiven Mitgliedern der Gesellschaft, die natürlich schlecht darauf vorbereitet sind, sich der gesetzlosen Welt von Datenpiraten und Revolutionären zu stellen, wie Laura und David schnell feststellen. Die Konzernspitze sendet das Paar (mit einem Baby an Bord) in die neue, durchtechnisierte Voodoo-Welt Grenadas, und von dort bricht Laura zu weiteren Abenteuern auf, die ihr eine Reife verleihen, welche das alte, sichere Leben im Schoß des Konzerns ihr niemals ermöglicht hätte. Das ist das bloße Skelett der Handlung, aber Sterlings Größe liegt, wie schon im vorliegenden Roman, vor allem in der sorgfältigen Ausarbeitung bedeutsamer Details, der kleinen Dinge, die das künftige Gesellschaftssystem einerseits glaubwürdig und andererseits fremdartig erscheinen lassen. Neue Moden, neue Technologien, ja sogar neue Denkweisen liegen überall wie, exotisches Garn verstreut umher, während die ewigen Gefahren der Unterwelt ebenso für Spannung wie für gültige Einsichten sorgen.
Island in the Net führt die Komplexität des Menschen, die das durchgängige Thema von Sterlings bisherigem Schaffen war, und das Motiv des ›Nichts ist wahr, alles ist erlaubt‹ noch weiter aus, rekonstruiert die Welt auf eine Weise, daß die Merkwürdigkeiten der zusammenphantasierten Zukunft und ihr blinder Tatendurst unserer eigenen Zeit in nichts nachstehen. Bemerkenswert ist dabei, wie Heiko Langhans in einem Kommentar über diesen Roman anmerkt, daß sich darin starke Spuren humanistischen Gedankenguts finden, einer Bewegung, zu der auch Kim Stanley Robinson und Connie Willis zählen, mit denen sich die Cyberpunks seit Anfang der
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