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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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es auf einer höheren Stufe von körperloser, sterilisierter Reinheit neu aufbauen. Die Musik ihres Synthesizers war von jener schmerzhaft zerbrechlichen Durchsichtigkeit, wie sie nur dem Makellosen eignet.
    Andere Instrumente strebten mühsam eine solche ideale Klarheit an, aber es gelang ihnen nie. Und dieses Nichtganzgelingen verlieh ihrem Klang das Menschliche. Die Welt der Menschen war eine Welt der Verluste und des Versagens, der zu Staub zerbröselten Hoffnungen, der Ur-Fehlerhaftigkeit, genannt »die Erbsünde«, eine Welt voller Makel und Narben, in der alle beständig nach Verschonung, nach Empathie und sympathischer Zuwendung speichelten ... Aber so war Kitsunes Welt nicht.
    Ihre Welt war der phantastische grenzenlos ausufernde Bereich höchster Pornographie. Lusterfahrung war allgegenwärtig, potenziert und mühelos, nur unterbrochen von Ausbrüchen krampfhafter übermenschlicher Intensität. Darin erstickten alle anderen Lebensaspekte, wie wenn ein kreischendes Feedback ein ganzes Orchester überschrillt.
    Kitsune war ein Kunstprodukt, und sie akzeptierte ihre fieberige Welt mit der gedankenlosen Dumpfheit eines beutejagenden Tieres. Ihr Leben war unverfälscht und abgehoben, eine heißglühende verzerrte Parodie der Heiligkeit, aber rein.
    Die chirurgischen Eingriffe in ihrem Körper würden eine menschliche Frau zu einem seelenlosen Sexualtier gemacht haben. Doch Kitsune war eine Shaper und besaß die nicht-natürlichen Fähigkeiten der genialischen Flexibilität der Shaper. Ihre engumzirkelte Lebenswelt hatte sie zu einem Instrument geformt, das so scharf und so gefährlich glatt war wie ein gutgeöltes Stilett.
    Acht ihrer zwanzig Lebensjahre hatte sie in der »Bank« verbracht, und sie war den Kunden und ihren Konkurrenten zu Geschäftsbedingungen gegenübergetreten, die sie von Grund auf begriff und billigte. Dennoch wußte sie, daß es einen seelisch-geistigen Erfahrungsbereich gebe, den die Menschen für selbstverständlich erachten, der ihr jedoch verschlossen blieb.
    Scham. Stolz. Schuldgefühle. Liebe. Als undeutliche Schemen verspürte sie solche Gefühlsregungen, als dunkle abgestreifte Reptilienhaut, die in der sengenden Ekstase sogleich zu Asche verbrannte. Menschliches Gefühl lag nicht außerhalb ihrer Möglichkeiten; es war nur einfach zu wenig intensiv, als daß sie es wahrgenommen hätte. Es hatte sich zu einem zweiten Unbewußten rückentwickelt, war zu jener tiefvergrabenen Intuitionsschicht sedimentiert, die sich unterhalb ihrer posthumanen Denkweise ausbreitete. Ihr Bewußtsein war ein Amalgam, eine nicht ungiftige Mischung in gelöster Form, von kalter praktischer Logik und spasmatischen Lustzuckungen.
    Kitsune erkannte, daß Lindsay durch seine primitiven Denkprozesse im Nachteil war. Sie spürte so etwas wie Mitleid mit ihm, eine Art leise verächtlicher freundlicher Besorgtheit, die sie weder erkennen noch sich selber eingestehen konnte. Sie hielt ihn für sehr alt, glaubte, er müsse aus einer der frühesten Shaper-Generationen stammen. Damals waren die gentechnologischen Möglichkeiten noch beschränkt gewesen und man hatte diese Generationen kaum von dem ursprünglichen menschlichen Ausgangsmaterial unterscheiden können.
    Lindsay mußte - ihrer Ansicht nach - mindestens hundert Jahre alt sein. Und wenn er so alt war, dabei aber so jugendlich wirkte, dann hieß dies, daß er vernünftige Lebensverlängerungstechniken eingesetzt hatte. Er gehörte zu einer vergangenen Zeit, in eine Ära, ehe der Shaperismus seine volle Hochblüte erreicht hatte. Durch seinen Körper schwärmten Bakterien noch immer wild herum. Kitsune erwähnte Lindsay gegenüber niemals, mit keinem Wort, die antibiotischen Pillen und Darmzäpfchen, die sie sich zuführte, oder die schmerzhaften antiseptischen Duschen. Er sollte nicht wissen, daß er sie verseuchen könnte. Zwischen ihnen beiden sollte alles sauber sein.
    Sie begegnete ihm sachlich und überlegt. Für sie war Lindsay Quelle einer erhabenen, rein geistigen Befriedigung. Sie empfand ihm gegenüber jene Art von professioneller Achtung, wie sie ein Metzger für seine scharfe Knochensäge empfinden mag. Es bereitete ihr ausgesprochen Vergnügen, ihn zu benutzen. Und sie wollte, daß er lange vorhielt, also gab sie sich große Mühe mit seiner Wartung und Pflege, und es machte ihr Spaß, ihm alles zu geben, wovon sie glaubte, daß er es zu seinem reibungslosen Funktionieren benötigte.
    Für Lindsay allerdings wirkten sich ihre zärtlichen

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