Schismatrix
verfilzte Angelschnur, bestückt mit Perlen von Lebenshöhlen, Gewächshäusern, Wetware-Kammern und privaten Intimzellen.
Sie zogen in eine Richtung, in die Lindsay vorher nie gegangen war. Er hörte, wie ein Gesteinspropfen knirschend beiseitegehievt wurde.
Dann schwebten sie ein kleines Stück vorwärts, schlängelten sich um den schlaffen Schlauch einer deaktivierten Luftpumpe vorbei. Während Lindsay in der Finsternis daran vorbeikroch, erwachte die Pumpe keuchend wieder zum Leben.
»Hier ist unser Versteck«, sagte Paolo. »Das von mir und Fazil.« Seine Stimme hallte in der Dunkelheit.
Mit weißspritzenden Funken begann etwas zu zischen. Erschreckt machte Lindsay sich zum Kampf bereit. Paolo hielt einen kurzen weißen Stock in der Hand, an dessen einem Ende eine Flamme nagte. »Eine Kerze«, sagte er.
»Kürze?« sagte Lindsay. »Aha, ich verstehe.«
»Wir spielen gern mit dem Feuer«, sagte Paolo. »Fazil und ich.«
Sie befanden sich in einer Werkstatthöhle, die man in eine der großen Gesteinsadern im Innern von ESAIRS XII gegraben hatte. Für Lindsays laienhaften Blick wirkten die Wandungen wie Granit; ein graurosa Gestein, besetzt mit kleinen Glimmerflecken von Gesteinskristall.
»Es hat hier einmal Quarz gegeben«, sagte Paolo. »Silikondioxid. Wir haben es für die Sauerstoffgewinnung abgebaut, und dann hat Kleo die Sache aufgegeben. Also haben wir uns diese Kammer ganz allein gebohrt. Stimmt's, Fazil?«
Fazil mischte sich eifrig ein. »Genauso ist es, Mister Außenminister. Wir haben Handbohrgeräte und Expansionsplastikladungen verwendet. Siehst du, wo das Gestein geborsten und abgebröckelt ist? Den Abraum haben wir unter dem anderen zum Abschub bereitliegenden Schutt versteckt, und keiner hat etwas gemerkt. Wir haben tagelang geschuftet, und das größte Trumm haben wir bis zuletzt gelassen.«
»Da, schau!« sagte Paolo. Er berührte die Wand, und das Gestein schrumpfte unter seiner Hand und löste sich. In einer grob ausgehauenen Nische von der Größe eines Schranks schwebte ein länglicher Felsquader an einem Faden, der seine Drift nach unten verhinderte. Paolo schnappte sich den Faden und zog den Felsbrocken heraus. Er bewegte sich träge. Fazil half ihm das Trägheitsmoment der Masse zu bremsen.
Es war eine zwei Tonnen schwere Skulptur, die Paolos Kopf darstellte.
»Sehr gekonnte Arbeit«, sagte Lindsay. »Darf ich mal?« Er fuhr mit den Fingerspitzen über den glattpolierten Wangenknochen. Die weiten, wachen Augen mit den ausgehöhlten Pupillenlöchern waren so groß wie seine ausgestreckten Hände. Um die gewaltigen Lippen schwebte ein verstohlenes Lächeln.
»Als man uns hier herausgeschickt hat, war uns klar, daß wir nie nach Hause zurückkehren würden«, sagte Paolo. »Wir werden hier sterben, und warum? Nicht etwa, weil unsere Genstruktur schlecht ist. Wir sind ein guter Genstrang. Mavrides- regulär .« Er redete nun hastiger und verfiel in den Tonfall des Ring-Council-Slangs.
Fazil nickte stumm dazu.
»Es ist nichts weiter als schlechte Perzentierung. Zufall. Glück. Der Zufall hat uns gelinkt und am Arsch gekriegt, bevor wir noch zwanzig Jahre alt waren. Die Chance, das Glück, den Zufall, das kannst du einfach nicht rausmendeln. Einige im Genstrang sind dazu bestimmt, zu Versagern zu werden oder auszufallen, damit die übrigen leben können. Und wenn es nicht Fazil und mich getroffen hätte, dann wären es eben unsere Mitkripplinge gewesen.«
»Ich verstehe«, sagte Lindsay.
»Wir sind jung, und wir sind billig. Und sie werfen uns den Feinden zwischen die Zähne, damit die Tusche schwarz ist, nicht etwa rot. Aber wir sind Lebewesen, Fazil und ich. In uns ist etwas Lebendiges. Wir werden bestimmt nicht mal zehn Prozent von dem Leben bekommen, wie es daheim für die anderen möglich ist. Aber wir , wir waren hier . Wir sind Realität.«
»Leben ist aber besser«, sagte Lindsay.
»Du bist ein Verräter«, sagte Paolo, ohne besonderes Ressentiment. »Ohne deinen genetischen Lebensstrang bist du ein blutloses Nichts, ein bloßes Organsystem.«
»Und es gibt Wichtigeres, als zu leben«, fügte Fazil hinzu.
»Wenn ihr genug Zeit bekämt, dann könntet ihr diesen Krieg überleben«, sagte Lindsay.
Paolo lächelte. »Das ist doch kein Krieg. Das ist Evolution - in die Tat umgesetzt. Glaubst du, du wirst darüber hinausleben?«
Lindsay zuckte die Achseln. »Vielleicht. Und was ist, wenn die Aliens kommen?«
Paolo glotzte ihn mit großen Augen an. »Daran glaubst du
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