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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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zum linken Arm führende Kabel und schnallte es auf. Er zog heftiger; sie gab einen Zischlaut von sich, als ein Fesselband sich schärfer unter dem Rippenbogen in sie hineinschnitt.
    Die Krebswanze schälte sich ab. Der Unterleib war scheußlich gespenstisch: eine hundertbeinige Masse von feuchten durchscheinenden Röhrchen, bedeckt mit haardünnen Porenhärchen. Lindsay zerrte weiter. Ein Kabelgeflecht dehnte sich und zerriß, vielfarbige Drähte quollen hervor.
    Er stemmte beide Füße gegen den Rücken der Frau und zog. Sie keuchte, als ersticke sie, und krallte sich an den Strapsverschluß; dann öffnete sich der Gurt wie eine Peitschenschnur, und Lindsay hatte den ganzen Apparat in den Händen. Da die Programmierung unterbrochen war, zuckte und krümmte das Ding sich fast wie ein Lebewesen. Lindsay packte es an den Fesselkrampen und wirbelte es mit aller Kraft gegen die Wand. Die zerbrechlichen Plastiksegmente am Rücken des Dings brachen aus der überlappenden Verankerung, es knisterte. Lindsay peitschte das Ding weiter gegen den Fels. Braune Schmierflüssigkeit sickerte hervor und breitete sich dann zu einem schwerelosen Sprühnebel aus, als er erneut zuschlug. Er zertrampelte das Ding unter den Füßen, zerrte an der Fessel, bis sie nachgab. Unter den Platten traten die Eingeweide hervor: rhomboide Biochips, eingebettet in vielfarbige Faseroptik.
    Er schmetterte das Ding noch einmal gegen die Wandung, langsamer. Seine Wut begann abzukühlen. Ihm war kalt. Sein rechter Arm zuckte unkontrollierbar.
    Nora stand an der Wand und klammerte sich an eine Kleiderhalterung. Der abrupte Abbruch ihrer Nervenprogrammierung bewirkte, daß sie bebte, als hätte sie Schüttellähmung.
    »Wo ist das andre?« verlangte Lindsay zu wissen. »Das Ding für dein Gesicht? «
    Ihre Zähne schnatterten. »Das hab ich nicht mitgenommen«, sagte sie.
    Lindsay kickte mit dem Fuß die Wanze beiseite. »Wie lang schon, Nora? Wie lange hängst du schon von dem Ding ab?«
    »Ich trag es jede Nacht.«
    »Jede Nacht?! Mein Gott!«
    »Ich muß die Beste sein«, sagte sie bebend. Dann fummelte sie sich einen Poncho vom Gestänge und steckte den Kopf durch die Kragenöffnung.
    »Aber die Schmerzen«, sagte Lindsay. »Das brennt doch furchtbar.«
    Nora glättete den leuchtenden Stoff um die Schultern und strich ihn zu den Hüften hin fest. »Du bist einer von denen«, sagte sie dann. »Unsere Altsemester, die Anfänger. Die Versager. Die Abtrünnigen.«
    »Was war denn deine Klasse?« fragte Lindsay.
    » Fünfte . Die höchste, die letzte.«
    »Ich war in der Ersten«, sagte Lindsay. »Auswärtige Abteilung.«
    »Aber - dann bist du ja nicht einmal ein Shaper!«
    »Ich bin ein Concatenat.«
    »Aber ihr seid doch angeblich alle tot!« Sie schälte sich die zertrümmerten Klammern des Krebses/der Wanze von den Knien und Fußknöcheln. »Ich müßte dich töten. Du hast mich angegriffen. Und du bist ein Verräter.«
    »Als ich das Ding da zerschlagen habe, verspürte ich so etwas wie echte Freiheit.« Nachdenklich und ohne dessen gewahr zu werden, rieb er sich den Arm. Er hatte doch wahrhaftig die Kontrolle über sich verloren. Aufsässigkeit und Widerspruch hatten Besitz von ihm ergriffen, ihn überwältigt. Einen Augenblick lang war echte menschliche Wut durch sein Training herauf gezüngelt und hatte in ihm einen weißglühenden Kernpunkt echter Raserei gereizt. Er war durcheinander, fühlte sich jedoch mehr als ein Ganzes, stärker als sein eigenes wahres Selbst, als ihm dies über viele Jahre hin möglich gewesen war.
    »Leute wie du haben es für all die andern von uns unmöglich gemacht«, sagte Nora. »Wir Diplomaten müßten ganz oben sein. Wir sollten koordinieren, sollten Frieden stiften. Aber die haben das ganze Programm sausen lassen. Wir sind ›unzuverlässig‹, haben die gesagt. Eine sehr üble Art von Ideologie.
    »Sie sähen uns am liebsten tot«, sagte Lindsay. »Das ist auch der Grund, warum man euch dienstverpflichtet hat.«
    »Ich wurde nicht eingezogen. Ich bin ein Freiwilliger.« Sie verknotete die letzte Schleife an ihrem Poncho an der Hüfte. »Sie werden mich wie einen Helden begrüßen - wenn ich es schaffe, zurückzukehren. Und das ist die einzige Chance, die ich je bekommen werde, in den Ringen eine Machtposition zu erlangen.«
    »Es gibt auch andere Machtzentren.«
    »Sicher. Aber keins davon zählt.«
    »Rep-3 ist tot«, informierte Lindsay die Frau. »Warum habt ihr ihn umgebracht?«
    »Drei Gründe«, sagte Nora.

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