Schiwas feuriger Atem
Stücke und schälte die Eier. Eine Flasche Diätbier beschloß das Abendbrot. Morgen mußte sie auf den bewachten Markt gehen, um ihre Sonderrationen zu holen. Sie setzte sich auf die Couch und knipste das Licht aus, damit sie genügend Strom für ihr Tonbandgerät hatte. Die besänftigenden Töne von Respighis »Römischen Springbrunnen« füllten das Zimmer, farbig, beschwörend. Sie schob den Teller beiseite, auf dem noch ein paar Würfel des ingwergewürzten Proteens lagen.
Können sie es schaffen? Und wenn nicht – was dann? Würde Schiwa an der Erde vorbeigehen? Und wenn ja – würde das Leben dann jemals so sein wie früher? Paris lag zum größten Teil in Trümmern. Tel Aviv war durch terroristische Anschläge weitgehend zerstört. In Hunderten von Städten rasten Feuersbrünste, unbekämpft, fraßen Läden und Geschäfte, die niemand mehr schützen mochte. Warum sind wir so zerbrechlich, dachte sie. Ist das das Geheimnis hinter Bruder Gabriels Bewegung und den anderen von ähnlicher Art? Nach dem Rezept: akzeptieren, was man nicht verhindern kann? Seine Hilflosigkeit zu etwas Positivem machen, indem man sie auf sich nimmt, ja sogar willkommen heißt? Pockennarbig war die Erde von mächtigen, blasenwerfenden Pfuhlen, und ihrer mehr würden noch entstehen. Was kann der Mensch gegen dieses Schnellfeuergewehr des Himmels tun? Selbst die Kräfte des Atoms reichten nicht aus. Erschauernd sprang Caroline auf und holte sich einen Sweater. Es war kalt.
Wenn Wade doch endlich käme! Sie waren aus Sicherheitsgründen zusammengezogen, und um Energie zu sparen, sagten sie. Doch es war mehr als das. Verzweiflung. Tagsüber, im Dienst, waren sie cool, distanziert, verschanzten sich hinter Galgenhumor. Sie waren ja beide Profis. Doch nachts, in der Dunkelheit des Schlafzimmers, klammerten sie sich aneinander, liebten sich mit verzweifelter Leidenschaft, die wütend zu den kalten Sternen hinaufschrie: Wir leben! Manchmal weinten sie, alle beide, doch sie sprachen nicht darüber. In diesen Tagen weinen die Menschen viel, dachte Caroline, brechen in aller Öffentlichkeit plötzlich in Tränen aus, mächtige pladdernde Ströme von Tränen – eine Erleichterung, von der niemand Notiz nahm. Doch manchmal steckte so ein Weinkrampf ein Lokal, einen Bus voller Menschen an, und alle empfanden es als eine seltsame Katharsis. Ein paar Minuten lang fühlten sie sich besser. Sie nahmen teil. Sie erkannten, daß sie sterblich waren und erkannten die zerbrechliche Mortalität der menschlichen Rasse selbst.
Im Finstern lächelte Caroline wehmütig und schaute auf den glimmenden Brand im Osten. Jedenfalls würde Schiwa den Menschen von der Erde lösen, würde ihn zwingen, in die Sterne zu fahren, so oder so. Zum Überleben. Selbst wenn Schiwa diese Heimatwelt nicht zerschlagen konnte – die Menschheit würde es nie vergessen. Sie würde sich so ausbreiten, daß sie niemals völlig ausgelöscht werden konnte.
Wenn – Schiwa gestoppt wurde.
Caroline schlang die Arme um sich.
Warum bleibt Wade so lange weg? Er soll nach Hause kommen! Sie hatte ihn gern. Liebe – dessen war sie sich nicht sicher. Noch nicht.
Ich möchte das Gefühl haben, daß mein Mann sich aus eigener Kraft am Leben erhalten kann, dachte sie; daß er nicht zusammenbricht, wenn es schlimm kommt, nicht zurückschreckt vor den Problemen des Alltags. Und doch soll er sensibel genug sein, um mit mir diskutieren zu können, auch über Dinge, die ihm nahegehen und ihn schmerzen. Er braucht kein Monolith, keine Festung zu sein. Ich möchte einen, der stark und verwundbar zugleich ist. Ich möchte denken können, daß er mich beschützt, wenn es schiefläuft … und es läuft ja wirklich schief. Alle Frauen brauchen das wohl. Ich glaube, jede Frau braucht einen Mann, der sich in den grundlegenden Dingen um sie kümmert. Aber Männer brauchen dasselbe: sie brauchen die Frau, nach der sie suchen, und die nach ihnen sucht. Ich habe Wade gern, dachte sie; für ihn gibt es nicht viel, das seine Männlichkeit bedroht; er hat keine Angst vor Dingen, die ihn schwach erscheinen lassen könnten.
Aber wo ist er? Ich brauche ihn. Jetzt sofort.
Ihre Finger berührten ihren Körper, ihren Bauch, liefen kreuz und quer über ihre Haut. Die andere Hand kroch in die Bluse und umfaßte eine Brust. Diese wahnwitzige Selbstzerstörung der Welt – was war das nur? Ihre Hand glitt tiefer, bis die Fingerspitzen an der feuchten Stelle waren.
Wie mag es wohl sein, wenn man eine Erektion hat?
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