Schiwas feuriger Atem
Murray nannte sie so ohne weiteres beim Vornamen, um damit eine wenn auch lockere Intimität zu schaffen. »Sie wollen doch nicht, daß Reed übernimmt, nicht wahr? Er war nur Kompromißkandidat, wie Sie wissen.« Murray warf einen Blick in die Halle, auf den höchsten Beamten der Nation. »Nein, wir brauchen jemanden mit dem Prestige und der Erfahrung Caleb Knowles’. Wenn dieses Land kaputt… wenn es so zerstört ist, daß… wenn es dazu kommt, daß wir dieses Land wieder zusammenflicken müssen, vielleicht ganz Nordamerika, dann brauchen wir einen Caleb Knowles.«
»Er sagt, er bleibt hier.«
»Es ist seine Pflicht wegzugehen. Es ist seine Pflicht, zu überleben.«
Barbara sah ihn scharf an. » Sie wollen weg.«
Murray nickte. »Selbstverständlich möchte ich überleben, Mrs… äh, Barbara. Das ist einfach natürlich. Aber mein Überleben ist unwichtig, und Ihr Überleben ist unwichtig. Wichtig ist er.«
»Sie sind sehr offen, Mr. Murray.«
»Wir haben keine Zeit. Ich habe bereits den Abtransport des Schlüsselpersonals freigegeben. Beinahe der halbe Kongreß ist bereits weg. Das Pentagon, die lebenswichtigen Dienststellen…« Er zuckte die Achseln. »Das ist logisch. Hierbleiben ist eine überflüssige Geste.«
»Der Kapitän des Schiffes…«
»Wie? Ach so. Ein schiefes Bild. Wir brauchen Präsident Knowles und…«
»Sie brauchen einen Präsidenten Knowles. Einen Führer, einen Mann mit Ausstrahlung.«
»Was Reed nicht ist, und auch nicht der Sprecher des Repräsentantenhauses. Durchaus gute Politiker, aber sie kennen ihre Grenzen.« Er berührte ihren. Arm. »Barbara, wenn Sie sich jemals gewünscht haben, Ihrem Lande einen Dienst zu leisten – jetzt ist es soweit.«
Sie antwortete nicht, sondern beobachtete Knowles. Er mochte den indischen Gesandten nicht. »Ein scheinheiliger Heuchler«, hatte er einmal zu ihr gesagt, »Millionen seiner Landsleute verhungern, und damit erpreßt er mich, während er sich am Diplomatenbuffet den Bauch vollschlägt. Das ganze verdammte Land ist von oben bis unten korrupt. Sie wollen ums Verrecken keine effektive Geburtenkontrolle durchführen, obwohl sie ständig davon reden. Nur ein Bruchteil von ihnen ist imstande, halbwegs lohnende Landwirtschaft zu betreiben, woran ihnen anscheinend auch nicht einmal sonderlich viel liegt. Verdammt selbstgerecht – als ob jemand, bloß weil er ein heiliger Mann ist, das Recht hätte, bei anderen zu schmarotzen. Politisches Gift, der ganze Haufen!«
Und als Barbara wissen wollte, wie er das meinte, hatte er gesagt: »Wie kann ein amerikanischer Politiker zu einer Nation von kaputten, verhungerten Menschen sagen: ›Zieht euch da selbst raus, ihr habt euch ja selbst reingeritten!‹ Diese hungernden Kinder gehen einem nicht aus dem Sinn – und das weiß diese Bande ganz genau. Aber wir müssen unsere eigenen Millionen mit unseren eigenen Lebensmitteln ernähren. Doch das kann man nicht öffentlich sagen, und deswegen können uns diese Hundesöhne moralisch erpressen.«
Indien war wie der arme Verwandte eines reichen und berühmten Mannes, der weiß, daß dieser reiche Mann seine Schulden bezahlen wird, damit es keinen Familienskandal gibt. Knowles ärgerte sich häufig über die indischen Eigenbau-Intellektuellen, die mit Vorliebe den Amerikanern darüber Reden hielten, was in den USA nicht stimmte, während ihr eigenes Land korrupt, krank, anmaßend war und zu sinnlosen Revolutionen und Aufständen neigte.
»Mrs. Carr?«
»Oh, Verzeihung, Mr. Murray. Sehen Sie, Mr. Murray, der Präsident handelt nach seinem unbeugsamen Willen und…«
»Niemand handelt nach seinem eigenen Willen. Entschuldigen Sie, Barbara, aber niemand handelt wirklich nach seinem Willen, und schon gar nicht ein Präsident. Es gibt immer irgendwelchen Druck, Kompromisse, Politik – das engt die Möglichkeiten ein, begrenzt die Wahl. Trotz allem gibt es manchmal nur eine einzige Wahl, nur eine ›richtige‹ Lösung.« Er zuckte die Achseln und breitete die Hände aus. »Jeder Führer, jeder Präsident, jeder Mensch nimmt Ratschläge an. Sie können ihm raten. Er braucht sich nicht zu schämen, wenn er nach Colorado übersiedelt. Es ist einfach eine Sache der Pflicht, der Verantwortung und der gesunden Vernunft. Sie können ihm helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.«
»Ich nehme es zur Kenntnis, Mr. Murray. Ich… ich werde mit ihm darüber sprechen, aber wenn er nicht will, dann ist nichts zu machen.«
»Haben Sie den Wunsch zu sterben,
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