Schiwas feuriger Atem
Mrs. Carr?«
Sie sah ihn an. »Nein, ganz gewiß nicht. Aber ich erwarte auch nicht, daß ich ewig lebe.«
»Lieber einen Augenblick ein Löwe sein als ein Leben lang ein Schaf – wie?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen…« Irritiert wandte sie sich ab. Selbstverständlich wollte sie leben. Ihr lag sogar sehr viel daran. Sie hatte etwas gefunden. Eine Aufgabe und einen Menschen, und beides wollte sie sehr gern behalten. Jawohl, sie würde sehr froh sein, wenn Caleb packte, mit dem bereitstehenden Hubschrauber nach St. Andrews flog und dort in Air Force 1 umstieg. Er wäre in Sicherheit, würde leben bleiben, und sie konnten…
Entschlossen schob Barbara diese Gedanken beiseite. Sie würde tun, was er wollte. Insgeheim hatte sie dieses Gelöbnis abgelegt, sich selbst gegenüber, in der Nacht, sein Kopf lag in ihrem Arm. Altmodisch – jawohl. Vernünftig – wahrscheinlich nicht. Befriedigend – o ja, sehr.
Mein Mann.
Mein Mann ist der Führer der Welt. Wer bin ich? Eine zu gebildete Witwe, noch attraktiv – aber wie lange noch? Bald, nur allzubald wird man mich nur noch wegen meines Esprits und meines Charmes lieben. Laßt mich doch diese letzten Tage… vielleicht sind es auch nur Stunden… wild und schwärmerisch leben. Maitresse des Königs. Keine Pompadour oder Dubarry. Ich habe nicht den Wunsch, Königreiche zu regieren oder Juwelen, Ehren und Reichtümer zu sammeln. Ich will nur…
Was?
Was will ich wirklich?
Ärgerlich straffte sie die Schultern und schritt in den Saal hinein, auf Knowles zu. »Ich werde tun, was ich gesagt habe«, warf sie Murray im Gehen hin. Er antwortete nicht.
Knowles war den indischen Gesandten losgeworden, der sich nun unter dem gelangweilten Starren eines Mannes vom Außenministerium recht unbehaglich fühlte. Der Präsident lächelte Barbara erfreut an, als er sie erblickte. »Komm«, sagte er, »bloß weg hier! Verdammter Lausekerl! Wollte mit mir nach Colorado. Und als ich ihm sagte, ich ginge nicht, meinte er, ich wäre verrückt.«
»Stimmt das denn nicht?« lächelte Barbara.
»Doch, doch, aber das würde ich diesem Feigling gegenüber nie zugeben. Komm, wir gehen nach oben.«
»Aber – Mr. Präsident!« sagte sie in parodiertem Südstaatenakzent und legte die Fingerspitzen geschämig an den Busen.
»Wir nehmen den Lift«, entschied er, denn er wußte, auf der Treppe würde er wieder von diesen Gesandten eingefangen werden, die wußten, daß er hier vorüber mußte. »Muß diese Bande hier heraushalten, alle miteinander. Den Notstand proklamieren. Nur noch Bürger der Vereinigten Staaten, und auch von denen nicht allzu viele.«
Flüsternd glitt die Lifttür auf, und Knowles schob Barbara in das kleine plüschbespannte Gelaß. Er küßte sie leidenschaftlich, doch er lächelte dabei, und wieder glitt die Tür mit leisem Flüstern auf. Im ersten Stockwerk der privaten Familienquartiere steigen sie aus. Aber hier wohnten nur Knowles und Lang, sein Butler, und dessen Frau Adele, die Zweite Haushälterin war.
Der Präsident mischte sich einen Drink und goß Barbara ein Glas Weißwein ein. »Ich übe grade ein neues Stück«, sagte er, »Kentucky Ramble. Ich hol mal eben mein…«
»Caleb.«
Er blieb stehen und sah sie mit fragendem Lächeln an.
»Caleb, vielleicht solltest du doch nach Colorado gehen, in dieses Dingsda von der Air Force.«
»Murray hat mit dir gesprochen, ich habe es gesehen.«
»Was er sagt, ist ganz einleuchtend. Du bist schließlich der Präsident.«
»Eben. Und deshalb bleibe ich hier. Kapitän des Staatsschiffs, und all dieser Mist.«
Sie holte tief Atem. »Heißt das… heißt das Selbstmord?«
»Zum Teufel, wer kann das wissen?« Er schritt durch das hohe Zimmer, nahm sein Banjo auf und zupfte ein paar muntere Töne. »Niemand kommt lebendig aus diesem Leben heraus, Kindchen. Jede blöde Weltraumklamotte kann genausogut in Potomax wie in Kansas oder Karachi runterplumpsen.« Ein lebhafter Akkord erklang unter seinen Fingern, dann schlug er heftig an das Instrument und stellte es sorgfältig in einen Klubsessel. Ein Bild hing über dem Sessel an der Wand, ein Aquarell von Jamie Wyeth, die Küste von Maine, frisch und feucht, Sand und Wind – man spürte sie direkt.
»Mist verdammter«, murmelte er, »zum Kotzen, was dieser verdammte Schiwa mit diesem Land, mit dieser Welt anstellt!« Unvermittelt wandte er sich zu ihr um. »Weißt du was? Ich schicke sie alle nach Colorado. Murray, Reed, Hopkins, Mathison, das Oberste
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