Schiwas feuriger Atem
Sterne vollführten einen wilden Tanz. Lisa versuchte, die Rotation zu stoppen und klinkte ihren Helm fest. Ein rascher Blick zu Solari: Er war verletzt. Pumpend, blubbernd, schäumend kam das Blut aus seiner Seite, wurde hochgeschleudert und von einem zackigen Loch direkt über dem Steuerbordbullauge eingesogen. Sie faßte nach hinten, schloß ihm den Helm und klinkte ihn ein. Nino war bleich und stand unter schwerer Schockeinwirkung; bewegungslos hing er in den Gurten und schnappte bereits nach Luft.
Lisa brachte das beschädigte Schiff wieder unter Kontrolle, schaltete den Autopiloten ein und wand sich aus ihren Gurten, um an das Reparaturmaterial heranzukommen. Sobald sie das Einschlagleck verpflastert hatte, drehte sie sich in der vollgestopften Kabine um und suchte das Austrittsleck.
Das Stück Nickeleisen war durch die Kabine, durch Major Solari und seine Liege und durch ein redundantes Telemetriesystem geschossen, war zerschmolzen und hatte sich zu Tröpfchen zersprüht, die überall herumgeflogen waren. Sie fand sechs kleine Löcher und ein ziemlich großes. Und ein navigatorisches Zusatzsystem war zerstört.
Erst nachdem Lisa alle Lecks geflickt hatte, kämpfte sie sich durch die schwebenden Blutschaumblasen zu Nino hin. Er war bleich und ohne Bewußtsein. Sie versuchte, seinen Raumanzug und die Schichten der Unterkleidung abzureißen, doch der Stoff war zu widerstandsfähig. Sie verlor kostbare Sekunden bei der Suche in der Medizinkiste nach einem Skalpell, und dann dauerte es noch eine Weile, bis sie Ninos Hüftwunde bloßgelegt hatte.
Was ihm geschehen war, konnte sie nicht genau feststellen; sie sah nur, daß er erheblich verletzt war. Sie nahm den größten Verband heraus und brach die innere Hülle auf, wodurch das Gewebe mit einem Antiseptikum und einem Gerinnungsmittel getränkt wurde. Sie drückte den Verband über die Wunde. Dann gab sie ihm eine Spritze gegen den Schock, und eine zweite, um ihn eine Zeitlang ruhigzustellen.
Dann versiegelte sie den Raumanzug so gut es ging mit Klebeband. Und währenddessen flogen ständig Staub und Kleintrümmer gegen die Kapsel.
Es überlief sie kalt, als sie wieder auf die Beschleunigungsliege kletterte. In diesem letzten Akt des großen Dramas wurden die Akteure immer weniger.
Myron Murrays Limousine wurde mit Steinen beworfen, als sie zwischen parkenden Tanks und behelmten Soldaten durch das Tor des Weißen Hauses kam. Dumpf, die Augen schwer vor Müdigkeit, starrte er auf den Mob da draußen. Er wußte um den Zorn und die Enttäuschung dieser Menschen, er fühlte sie mit. Sie hatten Angst und wollten, daß jemand etwas tat. In Amerika war dieser Jemand stets der Präsident gewesen, die Regierung.
Murray verstand sie und war allen jenen dankbar, die bei der Stange blieben, Befehle entgegennahmen, ihre Arbeit taten, das dünne Gewebe der Zivilisation irgendwie in Ordnung hielten.
Der ganze Umkreis des Weißen Hauses war von bewaffneten Soldaten und gepanzerten Fahrzeugen besetzt. Tanks standen an den Ecken und an den Eingängen. Weitere Tanks und Truppentransporter parkten in den Nebenstraßen. Patrouillen hielten die Massen in Schach, manchmal schafften sie es nur mit Gas. Doch es gab Baseballspieler darunter, die einen Stein ziemlich weit werfen konnten. Polizisten in Zivil streiften durch die Menge, achteten auf Handgranaten und Schußwaffen, Radios im Ohr, mit wachsamen, ruhelos schweifenden Augen. Die Pillen, die Murray eingenommen hatte, begannen jetzt zu wirken. Er bekam glänzende Augen. Die Limousine hielt beim Südportal. Oben, auf dem Truman-Balkon, sah er etwas, was er nie zu sehen gedacht hatte: Sandsäcke und Maschinengewehre. Raketenwerfer, ausgesuchte Scharfschützen an Gewehren, Funker mit taktischem Nachrichtengerät waren auf dem Dach.
Das Weiße Haus im Belagerungszustand.
Murray stieg aus und ging eilig in den Diplomaten-Empfangssaal, wo er von Steve Banning, dem Präsidial-Pressesekretär, begrüßt wurde.
Auch er hatte glänzende Augen und abgehackte Bewegungen, wie man sie bekommt, wenn man sich durch Stimulantien aufrechterhält.
»Ist es wahr, Myron?«
Myron nickte. »Kalinin ist verschwunden. Seit Stunden sieht und hört man nichts mehr von ihm. Im Pentagon ist man überzeugt, daß er liquidiert worden ist – wäre nicht das erste Staatsoberhaupt, dem das passierte –, aber der CIA denkt, er sitzt in irgendeinem Versteck im Ural.«
Sie schritten miteinander den Korridor im Erdgeschoß entlang bis zu den Lifts. »Was
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