Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
ich mühsam beherrscht. »Andernfalls gehe ich sofort zum Chefarzt und kläre das Problem dort.« Ich habe Menschen, die mit Vorgesetzten drohen, immer lächerlich gefunden. Aber zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich, dass dies ein letztes Mittel sein kann. Die Schwester, die mich bisher nur freundlich und rücksichtsvoll kennt, merkt wohl, dass es mir ernst ist. Widerwillig steht sie auf, sucht umständlich den Schlüssel und holt Bettwäsche aus dem Badezimmer. Missmutig knallt sie die Wäsche auf den Stuhl vor Lenas Zimmer und dreht sich wortlos um.
Lena muss nicht makellos sauber sein, aber ich finde diese Verwahrlosung schlimm, um die sich auch bei anderen Patienten niemand zu kümmern scheint. Ich kann nicht beurteilen, ob es zum Therapieansatz gehört, erregte Patienten nicht mit Äußerlichkeiten wie persönlicher Hygiene oder Ordnung noch mehr zu irritieren. Aber ich glaube, dass es Lena guttun würde, wenn man sie ein wenig aus diesem äußerlichen Chaos herausholt. Vorsichtig versuche ich sie zu überreden, aufzustehen, damit ich ihr Bett frisch beziehen kann. Ich zeige ihr die Badeöle und Shampoos, die ich mitgebracht habe. Ich lege ihr ein neues Badelaken hin und lasse ihre Finger darüber streichen, damit sie fühlen kann, wie weich es ist. Nach einer halben Stunde habe ich sie so weit, dass sie mit meiner Hilfe erst den Mantel auszieht, dann die Stiefel, Jeans und T-Shirt. Es gibt einen kleinen Kampf um jedes Kleidungsstück, von dem sie sich trennt. Alles muss für sie sichtbar neben der Dusche deponiert werden, damit es nicht verschwinden kann. Ich muss ihr versprechen, darauf aufzupassen. Ich habe das Gefühl, dass ihr das warme Wasser und das duftende Badeöl guttun. Es ist, als ob mit meiner Geduld und der freundlichen Unterhaltung ein Stückchen Angst von ihr abfällt. Sie beruhigt sich erkennbar, und als sie endlich mit frischer Kleidung aus dem Badezimmer tritt, sieht sie friedlich aus. Diese Prozedur hat sie so angestrengt, dass sie nach kurzer Zeit im Bett – wieder gestiefelt und in Pullover und Mantel gehüllt – fest einschläft. Ich weiß, dass Bett und Bettwäsche morgen wieder genauso schmutzig sein werden wie vor meinem Besuch, bin aber sicher, dass die sanfte Reinigungsaktion ihr gutgetan hat. Dann beginnen wir eben von neuem. Ich habe jetzt weniger Angst vor Lenas wirren Gedanken, Vorwürfen und Ausbrüchen. Ich werde weniger in ihre Ängste hineingezogen. Sie tut mir nur unendlich leid, weil ich mir vorstelle, wie entsetzlich es sein muss, Angst davor zu haben, dass die eigene Mutter einen umbringen lassen will, oder zu glauben, von Leichen umgeben zu sein. Wie stellt sie sich Leichen vor? Sie hat doch noch nie eine Leiche gesehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich den Wunsch habe, in Lenas Kopf zu kriechen. Ich möchte fühlen, was Lena fühlt, ich möchte ihre Angst, Wut und ihren Wahn nachempfinden können.
Nachdem die psychotischen Symptome abgeklungen sind, werden die Besuche bei Lena wieder anstrengender für mich. Jetzt stehen wieder Lenas Missstimmungen und Gereiztheiten im Vordergrund. In die Krankenhauskantine will sie nicht. »Wenn man schon hier eingesperrt ist, dann muss man doch wenigstens mal woanders essen gehen dürfen. Wenn ich schon hierbleiben muss, dann muss ich doch wenigstens Shampoo, Zigaretten, Blättchen, Saft, Essen, Zeitschriften, neue T-Shirts, Hosen und Pullover haben. Und du wirst mich doch mal in ein Restaurant einladen können! Das wird dich doch wohl nicht ruinieren!« Die Liste der Dinge, die Lena haben muss und die ihr einfach zustehen, wird länger und länger. Ihr Ton mir gegenüber wird immer heftiger und ironischer. Inzwischen bin ich schon genervt und nervös, wenn ich im Krankenhaus ankomme, weil ich mit ihren riesigen Ansprüchen und ihrer schlechten Laune rechne.
An einem Nachmittag bittet mich Frau Dr. S. in ihr Zimmer. Sie habe beobachtet, dass es Lena jedes Mal schlechter gehe, wenn ich da war. Woran das liegen könne? Ich fühle mich ertappt, bin aber froh, ihr erzählen zu können, warum die Besuche auch für mich anstrengend und unangenehm sind. Und dass ich jedes Mal mit einem schlechten Gefühl, aber auch erleichtert nach Hause fahre. Sie hat Verständnis, bittet mich aber, zu meinen Besuchen pünktlich zu kommen. Für Lena sei es schlimm, wenn ich mich für vier Uhr ankündige, aber erst zwanzig Minuten später käme. Sie brauche Zuverlässigkeit und Struktur. Ich bin froh, dass die Ärztin mir das sagt. Solche
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