Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
alles, er ist ein wunderbarer Arzt. Und ich bin froh, dass Lena bei ihm ist. Aber dann sollten Sie auch ihm die Frage stellen, wie es denn so weit kommen konnte. Nicht mir!« Ich halte ihr mein Handy entgegen. »Wollen Sie ihn anrufen?« Inzwischen bin ich einfach nur noch wütend und verletzt. Meine Tochter wird in einem schlimmen Zustand eingeliefert, und die Schuld suchen sie als Erstes bei der Mutter. Dann sollen sie Lena doch im Krankenhaus behalten, bis sie auskuriert ist, und nicht nur so lange, wie es die Krankenhausverwaltung für ökonomisch sinnvoll erachtet. Das letzte Mal hatte ich sie gebeten, Lena ein oder zwei Wochen länger dazubehalten, weil es ihr noch nicht gutging. Unklugerweise hatte ich dabei auch erwähnt, dass Lena nachts wieder dermaßen viel Krach gemacht hatte, dass die Nachbarn die Polizei gerufen hätten. »Das«, wurde mir damals mit strenger Stimme vom Oberarzt gesagt, »ist nun wirklich kein Grund, jemanden länger im Krankenhaus zu behalten.«
Frau Dr. S. bemerkt, dass die Situation zu entgleiten droht. Sie erklärt, dass sie nur einen Schreck bekommen hätten und dass mich natürlich keine Schuld trifft, sie hätten nur wissen wollen, was passiert sei. Ich zucke mit den Schultern. Das Übliche ist passiert. Was genau, weiß ich nicht. Es fängt eben irgendwann wieder an. Die Ärzte versichern mir, dass ich sie anrufen könne, wenn ich besorgt sei. Das ist mehr, als ich von anderen Ärzten gewöhnt bin, und ich bin wieder versöhnt. »Frau S. war diesmal wohl enttäuscht von mir, weil ich nicht durchgehalten habe«, meint Lena später. Mir wird klar, dass sie ihre Rückfälle als persönliche Niederlagen, als Versagen empfindet.
Diesmal ist es eine schwere Episode. Bei unseren Spaziergängen fährt Lena häufig zusammen. »Siehst du das, Mami, siehst du die Leichen da rechts und links? Ich habe Angst, ich will diesen Weg nicht gehen.« Sie klammert sich an ihre vollgestopfte Tasche, geht schleppend und schaut sich furchtsam um. Tagelang fühlt sie sich von Leichen umgeben und glaubt, dass auch sie selbst ermordet werden soll. Der Pfleger und die anderen männlichen Patienten hätten sie vergewaltigt, ist eine weitere Wahnvorstellung, die Lena peinigt. Ich sehe ihr ihre Angst an. Mein Therapeut hat mir erklärt, dass die unermessliche Angst, von der die Patienten gequält werden, sie oft daran hindert, einzuschlafen. Sie dürfen die Kontrolle nicht aufgeben. Wenn sie schlafen, könnte Schlimmes passieren.
Zum ersten Mal erlebe ich Lenas Halluzinationen unmittelbar mit. Ständig schaut sie fragend nach rechts oben und lauscht, als ob sie jemandem zuhört. Aber ich habe den Eindruck, dass diese imaginierte Person beruhigend auf sie wirkt. Als es eines Tages wieder ewig dauert, bis Lena ihre Sachen gepackt hat, um mit mir in den Krankenhauspark zu gehen, und sie immer wieder den Kopf fragend nach rechts oben richtet, frage ich ungeduldig: »Na, was sagt sie denn nun, können wir gehen?« Lena blickt noch einmal nach rechts oben und sagt dann lächelnd »Ja, das ist o.k.« Ich habe spontan gefragt, wir hatten noch nie darüber gesprochen, ob sie dort jemanden sieht und was sie mit dieser Person bespricht. Aber offenbar habe ich den richtigen Ton getroffen. Eine Weile gehen wir zu dritt spazieren, Lena, ihre imaginierte Freundin, wie sie sie nennt, und ich. »Ich weiß ja, dass sie gar nicht wirklich existiert«, sagt Lena später leicht entschuldigend. »Ich habe keine Halluzinationen.« Ich nicke zustimmend, und sie guckt wieder fröhlich nach rechts oben.
»Bettwäschewechsel nur in der Morgenschicht!«
Lena verwahrlost entsetzlich – dieses Mal in der Klinik. Sie hat sich seit vierzehn Tagen nicht gewaschen, weder den Mantel noch die Stiefel ausgezogen. Die Bettwäsche ist schmutzig und übersät mit Tabakkrümeln, Zigarettenasche und Essensresten. Ich sehe, dass sie sich nicht ausziehen will oder kann. Sie klammert sich an ihren Mantel und ihre Tasche, niemand darf ihre Stiefel anfassen. Schließlich kann ich es nicht mehr mit ansehen und bitte eine Schwester um frische Bettwäsche. »Bettwäschewechsel ist nur in der Morgenschicht!«, erklärt sie mit einem genervten Gesichtsausdruck. »Und außerdem ist der Schrank für die Bettwäsche im Badezimmer, und das wird erst um 16 Uhr wieder geöffnet.« In mir steigt eine unbändige Wut auf. Nur mit Mühe kann ich den Impuls loszuschreien unterdrücken. »Sie geben mir jetzt auf der Stelle Bettwäsche für meine Tochter«, sage
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