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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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ich trotz allem immer für sie da sein werde. Und seitdem ich mir das bewusst gemacht habe, geht es mir besser.
    Inzwischen habe ich auch gelernt, Lenas Situation nicht immer nur mit meinen Maßstäben zu messen. Das Chaos in ihrer Wohnung darf mich nicht mehr so verstören. Auch meine Therapeutin bestärkt mich darin, nicht die Unordnung zu sehen, sondern für Lena da zu sein und sie emotional zu unterstützen. Sie erklärt mir, dass Lena diese Umgebung nicht unbedingt als störend empfinden muss und sich innerlich davon distanzieren könne. Als ich Lena einmal besuche, sitzt sie entspannt inmitten des Chaos auf dem Sofa, hört Musik und isst mit großem Vergnügen ein selbstgekochtes Gulasch. Es riecht appetitlich. Überall im Zimmer sind Kerzen angezündet, auf dem Fensterbrett blüht eine Gardenie. Sie freut sich, mich zu sehen, und erst als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkt – tatsächlich bin ich entsetzt über den Zustand ihrer Wohnung –, verändert sich abrupt ihr Gesichtsausdruck. Schuldbewusst und nervös beginnt sie, Gegenstände vom Boden aufzuheben und über den Tisch zu wischen. Sie versichert mir, dass sie schon begonnen habe, aufzuräumen, dass sie den Boden in der Küche bereits geputzt habe und dass bald alles völlig in Ordnung sein werde …
    Durch meinen Gesichtsausdruck ist ihr Wohlbefinden empfindlich gestört. Plötzlich sieht sie ihre Wohnung mit meinen Augen. Später wehrt sie meine Besuche oft ab, weil sie noch nicht zum Aufräumen gekommen sei, oder bittet mich, bei meinem Besuch nicht sofort die Unordnung zu kritisieren. Es ist nicht wichtig, wie die Wohnung aussieht, es ist wichtig, dass Lena sich darin wohl fühlt. Durch meine Kritik wird sie immer wieder daran erinnert, dass aus meiner Sicht mit ihr etwas nicht »in Ordnung« ist. Man muss viel lernen als Angehörige.

    Es tut heute auch nicht mehr so weh, wenn Lena ausrastet und gegen mich wütet. Es kann sogar komisch sein. Eines Tages schreit sie mich in einer Fußgängerzone so laut an, dass sich bald eine Menschenmenge um uns versammelt hat. Ich habe Sorge, dass sie die Polizei rufen werden. Lena beschimpft mich. Ich sehe mir selber zu: Da steht eine nette ältere Dame mit Perlenkettchen und elegantem Mantel inmitten eines Menschenauflaufs und wird mit übelsten Schimpfworten belegt. Ich halte den Atem an und warte, bis Lena die Luft ausgeht. Als sie merkt, dass von mir keine Reaktion kommt – vielleicht sieht sie auch die vielen starrenden Menschen –, stampft sie mit einem lauten »Du kannst mich mal!« davon. Die Menge zerstreut sich. Langsam gehe ich zu meinem Auto und plötzlich werde ich von einem Lachanfall geschüttelt. Wenn Lena im Alter von sechs Jahren ein derartiges Drama veranstaltet hätte, dann hätte ich auch gelacht. Vielleicht muss ich mir sagen, dass Lena in für sie ausweglosen Situationen in ein kindliches Verhalten zurückfällt. Als ich später Freunden und meinem Arzt davon erzähle, müssen auch die lachen. Inzwischen breche ich bei solch einem Ereignis nicht mehr zusammen, sondern kann eine vernünftige Distanz herstellen. Lena schreit mich an – na und?
    Als ich Lena später von dieser Szene erzähle, lächelt sie verlegen. »Ich will das alles gar nicht wissen, Mami. Das war ja schon ziemlich albern von mir.«

»Hilfe« kommt – wieder mit der Polizei
    Aber noch ist die Situation für Lena und mich nicht so entspannt. Einige Monate später bekomme ich wieder einen Anruf. Dieses Mal teilt mir ein unfreundlicher Polizist mit, dass er Lena gerade in die Klinik transportiert habe. Es sei nicht leicht mit ihr gewesen, man habe ihr Handschellen anlegen müssen. Ich rase ins Krankenhaus, überstehe wieder die Wartezeit vor der geschlossenen Stationstür, die unfreundliche Schwester und erlebe eine hochgradig psychotische Lena. Sie klammert sich an mich, weint, schreit, erzählt von Leichen, die sie umgeben, zeigt auf Bilder, aus denen sie beobachtet wird. Aber sie ist froh, dass ich gekommen bin. Während ich mit ihr den Flur auf und ab gehe, um sie zu beruhigen, zeigt sie an die Decke, an der Nylonfäden kreuz und quer gespannt sind. »Siehst du das, Mama, da werden wir beobachtet. Ich habe Angst, lass uns hier weggehen.«
    Ich begleite sie in ihr Zimmer. Das Laken ihres Bettes ist dunkelgrau, voller Tabakkrümel und Zigarettenasche. Ich will ihr helfen, den Mantel auszuziehen, und versuche ihr die Tasche abzunehmen. »Nein«, schreit sie, »ich ziehe mich nicht aus, und die Tasche muss ich auch

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