Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
behalten. Da sind lauter wichtige Sachen drin!« Die Tasche ist vollgestopft mit Zeitungen, Tabakpäckchen und Pizzaservice-Faltblättern. Ich versuche, das Bett wenigstens ein bisschen zu säubern und bleibe bei ihr, als sie sich hinlegt. Plötzlich sitzt sie senkrecht im Bett und starrt mich an. »Sind Sie Frau Gebhard oder Janine Berg-Peer?«
Ich bin einen Moment lang geschockt, weiß aber inzwischen, wie ich damit umgehen muss. »Ich bin Janine Berg-Peer«, antworte ich ruhig. »Ich bin deine Mutter.« Sie guckt mich weiter beschwörend an. »Hast du den Auftrag gegeben, mich umbringen zu lassen?« Jetzt muss ich doch tief Luft holen, aber ich sehe Angst in ihren Augen. »Nein, das habe ich nicht getan, ganz bestimmt nicht, Lena. Das musst du mir glauben.« Lena scheint beruhigt. »Das ist gut«, sagt sie und will wieder vom Bett aufstehen. Zum ersten Mal erlebe ich die Auswirkungen einer Psychose ganz unmittelbar. Lena und ich befinden uns nicht mehr in der gleichen Realität. Der Tascheninhalt und glühende Zigarettenasche fallen auf die Bettdecke. Nervös und zittrig versucht Lena, alles wieder einzusammeln. »Ich brauche Blättchen, wo sind denn meine Blättchen, ich hatte doch noch … Und Tabak habe ich auch keinen mehr. Ich muss unbedingt rauchen. Aber ich habe ja kein Geld, die beschissene Betreuerin kommt ja nicht vorbei, sie will etwas schicken, das dauert doch viel zu lang. Ich will jetzt …« Ihr Blick ist unstet, die Hände zittern, mit dem Bein klopft sie in schnellem Takt auf den Boden.
Ich sammle den Tascheninhalt auf, streiche die Zigarettenasche vom Bettzeug – sie hat schon ein Loch hineingebrannt – und stelle alles ordentlich hin. Völlig sinnlos, denn mit jeder Bewegung reißt Lena alles zusammen. Es ist nur ein hilfloser Versuch meinerseits, diesem Zusammenbrechen von Struktur etwas entgegenzusetzen. Aber mein Ordnungsbedürfnis macht Lena nur noch aufgeregter. Daher setze ich mich ruhig zu ihr auf den Bettrand. »Soll ich für dich Zigaretten kaufen?«, frage ich. »Ja, das wäre toll. Und Blättchen und Cola, ich habe solchen Durst.« Wir gehen zusammen über den Flur zur Stationstür. »Frau Berg-Peer, ich muss Sie unbedingt sprechen!« Die Ärztin, die wir schon kennen und schätzen, kommt mir entgegen. »Ich will mit!«, ruft Lena alarmiert. »Ich will dabei sein, wenn Sie mit meiner Mutter sprechen.«
»Nein«, sagt die Ärztin freundlich und ruhig zu Lena, »ich möchte allein mit Ihrer Mutter sprechen. Sie sind im Moment so aufgeregt und schreien so, da können wir uns nicht ruhig unterhalten.« Ich traue meinen Ohren nicht: Normalerweise heißt es doch, dass Psychiater und Therapeuten auf keinen Fall mit Angehörigen sprechen dürfen, wenn die Patienten dies nicht wollen. Ich halte die Luft an und warte auf einen wütenden Ausbruch von meiner Tochter.
»Na gut«, sagt Lena, »dann rauche ich in der Zwischenzeit eine Zigarette. Und du vergisst den Tabak nicht, Mami? Aber vier Päckchen, ich muss hier einfach so viel rauchen!« Sie dreht sich um und marschiert mit fest an sich gedrückter Tasche in Richtung Raucherraum. Ich bin beeindruckt von Frau Dr. S.
Wir setzen uns in ihr Sprechzimmer, in dem ein Hund brav in seinem Körbchen liegt. Er ist einer der Stationshunde, die inzwischen als eine Art »Hilfstherapeut« angeschafft wurden. Ihr Kollege, Dr. P., kommt dazu und wir setzen uns. »Frau Berg-Peer, wie konnte es denn nur so weit kommen?«, fragt die Ärztin. Wie bitte? Mit allem habe ich gerechnet, aber nicht mit diesem Vorwurf. Ich bin sprachlos. »Wie es dazu kommen konnte?«, stottere ich. »Ja, das weiß ich auch nicht genau, aber ich habe sie eine ganze Zeitlang nicht gesehen. Sie will mich nicht sehen. Und wenn ich ihr gesagt habe, sie solle ins Krankenhaus oder wenigstens zum Arzt gehen, hat sie das immer vehement abgewehrt. Sie wissen doch, dass ich nichts tun kann.« Ich sehe die beiden fassungslos an.
»Es war doch das letzte Mal deutlich besser mit ihr, als sie vor einem Jahr entlassen wurde«, sagt Dr. S. »Ist sie denn nicht mehr in Behandlung? Sie ist ja jetzt in einem ganz schlimmen Zustand!«
»Ich weiß, ich sehe das ja auch. Ob sie regelmäßig zu Dr. K. geht, weiß ich nicht. Er würde mir das nicht sagen, er redet ja nicht mit mir.« Inzwischen bin ich wütend.
»Bei Dr. K. ist Ihre Tochter?« Beide Ärzte gucken sich beeindruckt an. »Dr. K. ist ja nun wirklich ein sehr guter Kollege. Also wenn sie bei Dr. K. ist …«
»Ich weiß das
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