Schlachtfeld der Verfluchten
bis ich zu Miller kam.
Miller war Professor, aber davon wollte er nichts wissen. Wer ihn kannte und mit ihm sprach, der sagte einfach nur Miller und ließ jeglichen Titel weg.
Als alter Grantier hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Freund Tanner. Deshalb verstanden sich die beiden Männer auch so gut.
Als ich nach dem Klopfen in Miller’s Büro trat, saß er an seinem Schreibtisch, trank Kaffee und aß einen Sandwich. Er drehte den Kopf und empfing mich mit einem bösen Blick.
»Hallo, Miller«, sagte ich.
Er aß zu Ende. Ich sah, wie er schluckte. Unter der dünnen Haut an seinem Hals zeichnete sich das deutlich ab. Auf dem Kopf wuchsen dünne Haare wie Spinnweben, und dass er dichte, dunkle Augenbrauen besaß, passte eigentlich nicht zu den Haaren. Ansonsten bestand sein Gesicht aus vielen Falten, und aus dieser Landschaft ragte eine gekrümmte und tropfenartige Nase hervor, deren Ende beinahe die Oberlippe berührte.
Da er weiteraß, nahm ich auf einem freien Stuhl Platz, grinste ihn an und wartete. Seinen Sandwich stopfte er schnell in sich hinein, spülte mit Kaffee nach und wischte schließlich über seine Lippen, nachdem er einen kurzen Rülpser ausgestoßen hatte.
»Nicht mal beim Essen hat man seine Ruhe. Wissen Sie eigentlich, dass es ungesund ist, so schnell zu essen und alles in sich hineinzuschlingen?«
»Das weiß ich. Aber Sie hätten auch langsamer essen können, Miller. Ich habe nichts gesagt.«
»Dann muss ich ja Ihr Gesicht noch länger ertragen.«
»Danke, aber das gilt für beide.«
Er lachte. »Ja, ja, den Humor haben Sie nicht verloren. Manchmal glaube ich, dass es das Einzige ist, was uns auf dieser verrückten Welt noch im Gleichgewicht hält.«
»Kein Widerspruch.«
Er drehte den Stuhl, damit er mich besser anschauen konnte. Das Büro war relativ klein. Durch eine breite Glasscheibe schaute er in sein Labor, in dem einige Mitarbeiter beschäftigt waren und sich um uns nicht kümmerten.
Nachdem er seine Nase geknetet hatte, knurrte er: »Dass Sie hier erscheinen würden, ist für mich keine Überraschung. Freund Tanner hat mich darauf vorbereitet.«
»Super. Dann wissen Sie ja, um was es geht, Miller.«
»Um die archaische Mordwaffe, den Pfeil.«
»Genau.«
»Ich habe ihn hier.«
»Und?«
Miller legte die Stirn in Falten. »Er ist wirklich ein Phänomen.«
»Ich höre.«
»Er besteht aus einem Weidenholz, das es seit Urzeiten in bestimmten Flussregionen gibt.«
Sofort dachte ich an die Wolga und natürlich an Russland. Ich wollte eine Frage stellen, aber Miller kam mir zuvor.
»Der Pfeil ist insofern eine Besonderheit und ein Phänomen, weil er so alt ist. Ich kann Ihnen natürlich keine genaue Zahl nennen, aber wir müssen fast zurück bis zu unserer Zeitrechnung gehen. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache, denn unsere Untersuchungen sind felsenfest und wirklich nicht angreifbar.«
Ich blickte ihn zunächst an und sagte nichts.
»Sie sind etwas blass geworden, Sinclair.«
»Das liegt am Licht.«
»Hä, hä, Sie können mich nicht so leicht reinlegen. Sie sind überrascht, was?«
»Stimmt.«
Miller pulte sich ein Stück Fleisch aus dem Gebiss und warf es in einen Aschenbecher, der voll gestopft mit verbranntem Pfeifentabak war. »Und der Pfeil ist noch völlig in Ordnung. Er hatte eine immense Durchschlagskraft.«
»Besaß er eine Spitze.«
»Ja, ein kleines, aber sehr spitz zulaufendes Dreieck.«
»Aus welch einem Material.«
»Der Grundstock ist Eisen. Nur war diese Spitze nicht verrostet. Man muss sie sehr gepflegt oder auch zu Stahl gehärtet haben. Das habe ich noch nicht herausgefunden. Ich wollte mich nach dem Frühstück damit beschäftigen.«
In meinem Job erlebte ich immer wieder Überraschungen. So war es auch jetzt. Aber diesmal auf einer wissenschaftlichen Ebene. Was mir Miller gesagt hatte, war Fakt. Das glaubte ich ihm. Er war der Fachmann, und ich musste die Tatsache akzeptieren, dass ich es mit einer Waffe zu tun hatte, die schon Jahrhunderte auf dem Buckel hatte.
»Sind Sie stumm geworden, Sinclair.«
»Ich bin nur überrascht.«
»Das heißt, Sie haben damit nicht gerechnet.«
»So ist es.«
Miller hob die Schultern. »Es ist eine Tatsache, Sinclair. Die müssen wir annehmen.«
Das wollte ich natürlich, aber auch ich bin ein Mensch, den man überraschen kann, und ich dachte bereits einen Schritt weiter. Wenn die Mordwaffe schon so alt war, wie musste man dann den Mörder ansehen? Wie alt mochte er sein? Ob er
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