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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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ihnen gehörten einer Kampfpatrouille an, und einer war ein Panzerabwehrschütze. Sie waren ohne Essen und ohne Landkarten. Während sie die Deutschen umgingen, drangen sie in immer tiefere ländliche Stille ein. Sie aßen Schnee.
    Sie gingen im Gänsemarsch. Zuerst kamen die Männer des Spähtrupps, gewitzt, gewandt und still.  Sie hatten Gewehre. Dann folgte der Panzerabwehrschütze, schwerfällig und beschränkt, der sich die Deutschen mit einem automatischen Colt 45 in einer Hand und einem Nahkampfmesser in der Andern vom Leibe hielt.
    Zuletzt kam Billy Pilgrim, mit leeren Händen, traurig, bereit zu sterben. Billy war lächerlich — ein Meter siebenundachtzig groß, mit einer Brust und Schultern wie eine Streichholzschachtel. Er hatte keinen Helm, keinen Mantel, keine Waffe und keine Stiefel. Seine Füße steckten in billigen Zivilhalbschuhen, die er zur Beerdigung seines Vaters gekauft hatte. Billy hatte einen Absatz verloren, was ihn auf und ab hüpfen ließ, auf und ab. Dieser unfreiwillige Tanz auf und ab, auf und ab machte seine Hüftgelenke wund.
    Billy hatte eine dünne Feldbluse an, ein Hemd und eine Hose aus kratzender Wolle und eine lange, verschwitzte Unterhose. Er war der einzige von den vier Männern, der einen Bart hatte. Es war ein ungepflegter, borstiger Bart, und einige Borsten waren weiß, obwohl Billy erst einundzwanzig Jahre alt war. Auch begann sich sein Haar schon zu lichten. Wind, Kälte und harter Dienst hatten sein Gesicht hochrot werden lassen.
    Er sah überhaupt nicht wie ein Soldat aus. Sondern wie ein schmutziger Flamingo.
     
    Und am dritten Tag der Wanderung schoß jemand auf die vier aus weiter Ferne — schoß viermal, als sie eine schmale, gepflasterte Straße überquerten. Ein Schuß galt den Spähtruppmännern. Der nächste war für den Panzerabwehrschützen, der Roland Weary hieß.
    Die dritte Gewehrkugel war für den schmutzigen Flamingo bestimmt, der mitten auf der Straße stehenblieb, als die, todbringende Hornisse an seinem Ohr vorbeisummte. Billy stand höflich da und gab dem Scharfschützen noch mal eine Möglichkeit. Es war seine verschrobene Auffassung von den Regeln der Kriegführung, daß dem Schützen eine zweite Chance geboten werden sollte. Der nächste Schuß verfehlte Billys Kniescheiben um Haaresbreite.
    Roland Weary und die Spähtruppmänner hatten sich in einem Graben in Sicherheit gebracht, und Weary knurrte Billy an: »Geh runter von der Straße, du doofer Mutterficker! « Das letzte Wort war im Jahre 1944 noch eine Neuheit in der Redeweise von Weißen. Es war neu und erstaunlich für Billy, der nie jemanden gefickt hatte — und es erfüllte seinen Zweck: Es rüttelte ihn auf und brachte ihn von der Straße herunter.
     
    »Ich habe noch mal dein Leben gerettet, du blöder Hund « , sagte Weary zu Billy in dem Graben. Tagelang rettete er daraufhin Billys Leben, indem er ihn verfluchte, ihm Fußtritte versetzte, ihn schlug, ihn in Trab brachte. Es war unbedingt notwendig, daß man Grausamkeit anwandte, denn Billy wollte nichts tun, um sich zu retten. Billy wollte fort. Ihn fror, er war hungrig, verstört und unfähig. Jetzt am dritten Tag konnte er kaum zwischen Schlaf und Wachsein unterscheiden und fand keine großen Unterschiede zwischen Gehen und Stillstehen.  Er wollte nur von jedermann in Frieden gelassen werden. »Geht ihr Jungens ohne mich weiter « , wiederholte er immer wieder.

    Für Weary war der Krieg so neu wie für Billy. Auch er war ein Ersatzmann. Als Kanonier hatte er geholfen, im Zorn einen Schuß aus einem 5,7-cm-Panzerabwehrgeschütz abzufeuern. Das Geschütz machte ein Ratschgeräusch, ähnlich dem Öffnen eines Reißverschlusses am Hosenlatz Gottes des Allmächtigen. Das Geschütz wühlte Schnee und Gestrüpp mit einem zehn Meter langen Feuerstreifen auf. Die Flamme ließ einen schwarzen Pfeil auf dem Boden zurück und zeigte den Deutschen genau, wo das Geschütz verborgen war. Der Schuß ging fehl.
    Was er verfehlt hatte, war ein Tigerpanzer. Dieser schwenkte seine 8,8-Zentimeter-Schnauze schnuppernd herum und machte den Pfeil auf dem Boden ausfindig. Er feuerte. Er tötete jedermann von der Geschützmannschaft, außer Weary. So geht das.
     
    Roland Weary war erst achtzehn, am Ende einer unglücklichen Kindheit, die er meistenteils in Pittsburgh, Pennsylvania, verbracht hatte. Er war in Pittsburg unbeliebt gewesen. Er war unbeliebt gewesen, weil er dumm, dick und kleinlich gewesen war und nach Speck roch, ganz gleich wieviel er

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