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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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sechs Monate lang das College besucht, und das College war nicht einmal ein reguläres College gewesen. Es waren die Abendkurse der Iliumer Schule für Optik gewesen.
    »Keine Schule des Lebens « , sagte Weary spöttisch.
    Billy zuckte die Achseln.
    »Vom Leben lernt man mehr, als was in Büchern steht « , meinte Weary. »Das wirst du auch noch herausfinden. «
    Billy gab auch darauf keine Antwort, denn er wollte nicht, daß das Gespräch länger als nötig dauerte. Er war jedoch irgendwie versucht zu sagen, daß er das eine oder andere über Stichverletzungen wußte. Billy hatte schließlich Folterung und häßliche Wunden am Anfang und Ende fast jeden Tages seiner Kindheit vor Augen gehabt. Billy hatte ein ungewöhnlich grauenvolles Kruzifix an der Wand seines kleinen Schlafzimmers in Ilium hängen. Ein Militärarzt hätte die klinische Treue der Wiedergabe aller Wunden Christi durch den Künstler bewundert — der Lanzenwunde, der Dornenwunden, der Löcher, die von den eisernen Spitzen gemacht wurden. Billys Christus starb auf schreckliche Weise. Er war bemitleidenswert. So geht das.
     
    Billy war kein Katholik, ob schon er mit einem schauderhaften Kruzifix an der Wand aufgewachsen war. Sein Vater hatte keine Religion. Seine Mutter war eine Aushilfsorganistin für verschiedene Kirchen in der Stadt. Sie nahm Billy immer mit, wenn sie spielte, brachte ihm auch ein wenig zu spielen bei. Sie sagte, sie wolle einer Kirche beitreten, sobald sie entschieden habe, welche die richtige war.
    Sie entschied sich nie. Sie entwickelte aber eine schreckliche Sehnsucht nach einem Kruzifix. Und sie kaufte eines in einem Geschenkladen in Santa Fé auf einer Reise, die die kleine Familie während der großen Depression machte. Wie so viele Amerikaner versuchte sie, ein sinnvolles Leben aus Dingen aufzubauen, die sie in Geschenkläden fand.  Und das Kruzifix erschien an der Wand von Billy Pilgrim.

    Die zwei Spähtruppmänner, die die Walnußholzkolben ihrer Gewehre in den Graben gesenkt hatten, flüsterten, es sei an der Zeit, wieder herauszuklettern.
    Zehn Minuten waren vergangen, ohne daß jemand gekommen war, um nachzusehen, ob sie getroffen worden waren oder nicht, und um sie endgültig zu erledigen. Wer immer geschossen hatte, war offenbar weit weg und ein Einzelgänger.
    Und die vier kletterten aus dem Graben heraus, ohne wieder das Feuer auf sich zu lenken. Sie krochen in einen Wald wie große, unglückliche Säugetiere, die sie waren. Dann richteten sie sich auf und begannen schnell zu gehen. Der Wald war dunkel und alt. Die Kiefern waren in Reih und Glied gepflanzt. Es gab kein Unterholz. Zehn Zentimeter unberührter Schnee bedeckten den Boden. Den Amerikanern blieb keine andere Wahl, als Spuren im Schnee zu hinterlassen, die ebenso unzweideutig waren wie schematische Darstellungen in einem Buch über Tänze bei Bällen — Schritt, gleiten, stillstehen — Schritt, gleiten, stillstehen.

    »Schließ eng auf und bleib dicht hinter uns! « warnte Roland Weary den hinter ihm folgenden Billy Pilgrim, als sie auf eine Lichtung traten. Weary sah wie eine für den Kampf ausgerüstete Witzblattfigur aus. Er war klein und dick.
    Er trug jedes Ausrüstungsstück, das ihm jemals zugeteilt worden war, und jedes Geschenk, das er jemals von daheim bekommen hatte: Helm, Helmüberzug, Wollhaube, Schal, Wollhandschuhe, baumwollenes Unterhemd, wollenes Unterhemd, Wollhemd, Pullover, Feldbluse, Jacke, Mantel, baumwollene Unterhose, Baumwollsocken, Wollsocken, Kampfstiefel, Gasmaske, Feldflasche, Eßgeschirr, Verbandpäckchen, Nahkampfmesser, Decke, Zeltbahn, Regenmantel, kugelfeste Bibel, eine Broschüre mit dem Titel »Kenne deinen Feind « sowie eine andere Sammlung deutscher, in englischen Sprachlauten wiedergegebener Sätze, die Weary in die Lage versetzen würden, den Deutschen Fragen zu stellen wie »Wo ist euer Hauptquartier? « und »Wie viele Haubitzen habt ihr? « , oder ihnen zu sagen: »Ergebt euch. Eure Lage ist hoffnungslos « und so fort.
    Weary hatte einen Balsaholzblock, der als Deckung für ein Schützenloch dienen sollte. Er verfügte über eine prophylaktische Ausrüstung, die zwei feste Präservative »Nur zur Verhinderung von Krankheit « enthielt. Er besaß ein Pfeifchen, das er erst jemandem zeigen sollte, wenn er zum Korporal befördert wurde. Er hatte ein anstößiges Bild von einer Frau, die Geschlechtsverkehr mit einem Shetlandpony versuchte. Er hatte Billy Pilgrim dieses Bild mehrmals bewundern lassen.

    Die

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