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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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Musketieren dachte.
    Billy Pilgrim, dort in dem Flußbett, dachte er, Billy Pilgrim würde sich schmerzlos in Dampf auflösen.
    Wenn jedermann ihn nur eben ein Weilchen in Frieden lassen wollte, dachte er, würde er niemandem mehr zur Last fallen. Er würde sich in Dampf auflösen und zwischen den Baumwipfeln hochschweben.
    Irgendwo bellte wieder der große Hund. Mit Hilfe der Angst, des Echos und der Winterstille klang die Stimme dieses Hundes wie ein großer bronzener Gong.
    Roland Weary, achtzehn Jahre alt, zwängte sich zwischen die beiden Spähtruppmänner, legte jedem einen Arm schwer auf die Schulter.
    »Was tun die drei Musketiere jetzt? « wollte er wissen.

    Billy Pilgrim hatte eine köstliche Halluzination. Er hatte trockene, warme, weiße Wollsocken an den Füßen und fuhr Schlittschuh auf einem Ballsaalboden. Tausende jubelten ihm zu. Das war kein Reisen in der Zeit. Es hatte nie stattgefunden, würde nie stattfinden. Es war die Verrücktheit eines sterbenden jungen Mannes, mit seinen Schuhen voll Schnee.

    Einer der Spähtruppmänner ließ den Kopf hängen und Speichel von seinen Lippen tropfen. Sie untersuchten die kleinwinzigen Auswirkungen von Spucke auf Schnee und die Ereignisse. Sie waren kleine, geschmeidige junge Leute. Sie waren schon zuvor mehrere Male hinter den deutschen Linien gewesen — hatten wie Geschöpfe des Waldes gelebt, von einem Augenblick zum anderen in zweckmäßiger Angst, hirnlos mit ihrem Rückenmark denkend.
    Nun machten sie sich von Wearys liebevollen Armen frei. Sie sagten Weary, er und Billy täten besser daran, jemanden zu finden, dem sie sich ergeben konnten. Die beiden Spähtruppmänner würden nicht mehr auf sie warten.
     
    Und sie ließen Weary und Billy in dem Flußbett im Stich.
    Billy Pilgrim fuhr weiter Schlittschuh, machte in Wollsocken Kunststücke — Kunststücke, welche die meisten Menschen für unmöglich halten würden:
    Pirouetten, Stehenbleiben auf einem Zehn-Cent Stück großen Fleck und so fort. Der Jubel ging weiter, aber der Ton änderte sich, als die Halluzination von Reisen in der Zeit abgelöst wurde.

    Billy hörte auf, Schlittschuh zu laufen, und fand sich an einem Frühnachmittag im Herbst 1957 an einem Podium in einem chinesischen Restaurant in Ilium, New York. Er wurde im Lion's Club mit Ovationen überschüttet. Er war gerade zum Klubvorstand gewählt worden, und man erwartete von ihm, daß er eine Ansprache hielt. Er war völlig verstört, glaubte er doch, daß ein schrecklicher Irrtum unterlaufen sei. Alle diese wohlhabenden, soliden Männer dort unten würden nun entdecken, daß sie einen lächerlichen Ausgestoßenen gewählt hatten. Sie würden seine kratzige Stimme hören, wie er sie im Krieg gehabt hatte. Er schluckte, wußte er doch, daß alles, was er hatte, um sich Gehör zu verschaffen, ein aus einer Weidenrute geschnitztes Pfeifchen war. Schlimmer noch — er hatte nichts zu sagen. Die Menge beruhigte sich. Jedermann war in Hochform und strahlte.
    Billy öffnete den Mund, und heraus kam ein tiefer, nachklingender Ton. Seine Stimme war ein prächtiges Instrument. Sie erzählte Witze, die bei seinen Zuhörern Lachstürme entfesselten. Sie wurde ernst, erzählte wieder Witze und endete in einem bescheidenen Ton. Die Erklärung des Wunders war: Billy hatte an einem Rednerkurs teilgenommen! 

    Und dann steckte er wieder im vereisten Flußbett.  Roland Weary war gerade dabei, ihn fürchterlich zu verprügeln.
    Weary war von einem tragischen Zorn entbrannt.  Wieder war er im Stich gelassen worden. Er schob seine Pistole in ihren Halfter. Steckte sein Messer in die Scheide. Mit seiner dreieckigen Klinge und Blutrinnen auf allen drei Schneiden. Und dann schüttelte er Billy mit Leibeskräften, rüttelte sein ganzes Skelett, warf ihn gegen eine Böschung.
    Weary belferte und wimmerte durch die Schichten seines Schals von daheim. Er sprach unverständlich von den Opfern, die er Billy zuliebe gebracht hatte.  Er ließ sich über die Anhänglichkeit und das Heldentum der drei Musketiere aus, malte ihre Tugend und ihren Edelmut in den glühendsten und feurigsten Farben, schilderte die unvergängliche Ehre, die sie für sich selbst erwarben, und die großen Leistungen, die sie für die Christenheit vollbrachten.
    Es war einzig und allein Billys Schuld, daß diese Kampforganisation nicht mehr existierte, das war Wearys feste Überzeugung, und Billy sollte ihm dafür bezahlen. Weary gab Billy einen tüchtigen Kinnhaken, stieß ihn vom Ufer

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