Schlachthof 5
sie sich eine reiche Auswahl an Gestellen ansehen.
Als sie gegangen war, zog Billy die Vorhänge auf und war nicht klüger in bezug auf das, was draußen war. Der Blick war noch immer durch eine Sonnenjalousie versperrt, die er klappernd hochzog. Helles Sonnenlicht strömte herein. Es gab Tausende von geparkten Autos dort draußen, die wie auf einem großen See schwarzer Dächer flimmerten. Billys Büro war innerhalb eines Vorstadteinkaufszentrums.
Gerade vor dem Fenster stand Billys eigener Cadillac El Dorado Coupe de Ville. Er las die Aufklebezettel an der Stoßstange. »Besucht Ausable Chasm « , lautete einer. »Unterstützen Sie Ihre Polizeidienststelle « , besagte ein anderer. Es gab einen dritten: »Zieh Earl Warren zur Rechenschaft « , lautete er. Die Zettel über die Polizei und Earl Warren stammten von Billys Schwiegervater, einem Mitglied der John-Birch-Gesellschaft. Das Datum auf dem Nummernschild war 1967, womit Billy Pilgrim vierundvierzig Jahre alt war. Er fragte sich: »Wo sind nur alle diese Jahre hingekommen? «
Billy wandte seine Aufmerksamkeit seinem Schreibtisch zu. Auf dem eine aufgeschlagene Nummer der Zeitschrift für Optik lag. Sie war bei einem Leitartikel aufgeschlagen, den Billy jetzt mit sich leise bewegenden Lippen las.
Was im Jahre 1968 geschieht, wird das Schicksal der europäischen Optiker für mindestens fünfzig Jahre bestimmen! las Billy. Mit dieser Warnung drängt Jean Thiriart, der Schriftführer der Nationalen Vereinigung belgischer Optiker auf die Bildung einer »Europäischen Optikergesellschaft « . Die Alternative, sagt er, wird die Zubilligung eines Berufsstatuts oder bis 1971 eine geringere Rolle der Brillenverkäufer sein.
Billy Pilgrim versuchte angestrengt, der Sache Beachtung zu schenken. Eine Sirene ertönte und erschreckte ihn furchtbar. Er erwartete jeden Augenblick den Ausbruch des Weltkriegs Nummer drei. Die Sirene zeigte nur zwölf Uhr mittags an. Sie war in einer Kuppel zuoberst auf einer Feuerwache gegenüber von Billys Büro angebracht.
Die Amerikaner, mit Billy unter ihnen, stellten sich draußen auf der Straße zu einem Narrenappell auf.
Ein Fotograf, ein deutscher Kriegsberichterstatter mit einer Leica, war anwesend. Er machte Aufnahmen von Billys und Roland Wearys Füßen. Das Bild wurde zwei Tage später in Großformat als ermutigender Beweis veröffentlicht, wie jammervoll ausgerüstet die amerikanische Armee häufig war—trotz ihres Rufes, im Überfluß zu schwelgen.
Der Fotograf wollte jedoch etwas Lebendigeres, ein Bild von einer tatsächlichen Gefangennahme. Die Wachmannschaften stellten also eines für ihn. Sie stießen Billy ins Gebüsch. Als Billy daraus hervorkam, sein Gesicht in törichter Gutwilligkeit verzerrt, bedrohten sie ihn mit ihren Maschinenpistolen, so als nähmen sie ihn gerade gefangen.
Billys Lächeln, als er aus dem Gebüsch herauskam, war mindestens ebenso seltsam wie das der Mona Lisa, denn er war gleichzeitig 1944 zu Fuß in Deutschland und 1967 in voller Fahrt in seinem Cadillac.
Deutschland trat in den Hintergrund, und statt dessen wurde 1967 hell und heiter, frei von der Einwirkung einer anderen Zeit. Büly war unterwegs zu einem Lunch der Versammlungsteilnehmer im Lion's Club.
Es war ein heißer August, aber Billys Wagen war mit einer Klimaanlage versehen. Er wurde von jemandem mitten im schwarzen Ghetto von Ilium gestoppt. Die Menschen, die hier wohnten, verabscheuten es so sehr, daß sie einen Monat zuvor einen großen Teil von ihm niedergebrannt hatten. Es war alles, was sie besaßen, und doch hatten sie es vernichtet. Die Umgebung erinnerte Billy an einige Städte, die er im Krieg gesehen hatte. Die Randsteine und Bürgersteige waren an vielen Stellen aufgerissen und zeigten, wo die Panzerwagen und Schützenpanzer der Nationalgarde gewesen waren.
»Blutsbrüder « , besagte eine mit rosa Farbe an die Front eines zerschossenen Kolonialwarenladens gemalte Botschaft.
Jemand klopfte an die Scheibe von Billys Wagen. Ein Schwarzer stand draußen. Er wollte über etwas sprechen. Das Licht der Verkehrsampel hatte sich geändert. Billy tat das Einfachste. Er fuhr einfach weiter.
Billy fuhr durch einen Schauplatz von sogar noch größerer Trostlosigkeit. Er sah aus wie Dresden nach dem Brandbombenangriff—wie die Mondoberfläche.
Das Haus, in dem Billy aufgewachsen war, lag früher dort, wo es jetzt so leer war. Das war städtische Neuplanung. Ein neues Iliumer Regierungszentrum, ein Pavillon der
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