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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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herunter und auf das schneebedeckte Eis des Flusses. Billy kniete auf allen vieren auf dem Eis, und Weary versetzte ihm einen Tritt in die Rippen und kippte ihn dann auf die Seite.  Billy versuchte sich zu einer Kugel zusammenzurollen.
    »Du solltest nicht einmal bei der Armee sein « , wetterte Weary.
    Billy gab unwillkürlich krampfhafte Laute von sich, die genau wie Lachen klangen. »Du hältst es wohl für komisch, he? « ärgerte sich Weary. Er ging um Billys Rücken herum. Billys Jacke, Hemd und Unterhemd waren durch die Gewaltanwendung um seine Schultern hinaufgerutscht, so daß sein Rücken nackt war.  Da, nur einige Zentimeter von den Spitzen von Wearys Kampf stiefeln entfernt, lockten die jammervollen Wirbel von Billys Rückgrat.
    Weary zog seinen rechten Stiefel zurück, und um der Wirbelsäule einen Tritt zu versetzen, zielte er gegen die Röhre, die so viele von Billys wichtigen Drähten in sich vereinte. Weary war im Begriff, diese Röhre zu zerschmettern.
    Aber dann sah Billy, daß er eine Zuhörerschaft hatte. Fünf deutsche Soldaten und ein Polizeihund an einer Leine schauten in das Flußbett hinunter. Die blauen Augen der Soldaten waren von einer einfältigen, zivilen Neugier erfüllt, warum ein Amerikaner einen anderen so weit fort von seiner Heimat zu ermorden versuchte und warum das Opfer lachte.
     

3
     
    Die Deutschen und der Hund waren dabei, eine militärische Operation auszuführen, die eine belustigende, selbsterklärende Bezeichnung hatte, ein menschliches Unternehmen, das selten im einzelnen geschildert wird, dessen Bezeichnung allein, wenn sie als Neuigkeit oder als geschichtliches Ereignis berichtet wird, vielen Kriegsbegeisterten eine Art von postkoitaler Befriedigung gewährt. Es ist, in der Phantasie von begeisterten Kampfanhängern, das himmlisch teilnahmslose Liebesspiel, das dem Orgasmus des Sieges folgt. Es wird als »Säuberung vom Feind « bezeichnet.
    Der Hund, der so grimmig in der winterlichen Weite geklungen hatte, war eine deutsche Schäferhündin.  Sie zitterte. Ihr Schwanz war zwischen die Beine geklemmt. Sie war an diesem Morgen von einem Bauern ausgeliehen worden. Nie zuvor war sie im Kriegseinsatz gewesen. Sie hatte keine Ahnung, was hier gespielt wurde. Sie hieß Prinzessin.
     
    Zwei von den Deutschen waren Jungen im frühen Teenager alter. Zwei waren klapprige alte Männer — Sabberer, zahnlos wie Karpfen. Sie gehörten irregulären Truppen an, waren nur fragmentarisch bewaffnet und bekleidet mit Zeug, das sie wirklichen Soldaten, die kurz zuvor gefallen waren, abgenommen hatten.  So geht das.
    Sie waren Bauern aus einer nicht weit entfernten Gegend, gerade jenseits der deutschen Grenze.  Ihr Befehlshaber war ein Obergefreiter in mittleren Jahren — mit geröteten Augen, hager, zäh wie getrocknetes Rindfleisch, ein Mann, der den Krieg satt hatte.
    Er war viermal verwundet, wieder zusammengeflickt und zurück an die Front geschickt worden. Er war ein sehr guter Soldat — im Begriff, den Dienst zu quittieren, auf der Suche nach jemandem, dem er sich ergeben konnte. Seine Säbelbeine steckten in goldbraunen Reitstiefeln, die er einem toten ungarischen Oberst an der russischen Front abgenommen hatte. So geht das.
     
    Diese Stiefel waren fast alles, was er in dieser Welt besaß. Sie waren sein Zuhause. Eine Anekdote: Eines Tages beobachtete ihn ein Rekrut, wie er diese goldbraunen Stiefel putzte und blank rieb, und er hielt einen davon dem Rekruten hin und sagte: »Wenn du tief genug hineinschaust, siehst du Adam und Eva. «
    Billy Pilgrim hatte diese Anekdote nicht gehört.  Aber dort auf dem dunklen Eis liegend, starrte er in die Patina der Stiefel des Obergefreiten und sah in den goldbraunen Tiefen Adam und Eva. Sie waren nackt. Sie waren so unschuldig, so verwundbar, so darauf bedacht, sich anständig zu benehmen. Billy Pilgrim gewann sie richtig lieb.
     
    Neben den goldbraunen Stiefeln waren zwei in Lumpen gewickelte Füße. Sie waren kreuzweise mit Leinenstreifen umwunden und steckten in abgetragenen Holzpantinen. Billy blickte zu dem Gesicht auf, das zu den Pantinen gehörte. Es war das Gesicht eines blonden Engels, eines fünfzehnjährigen Jungen. Der Junge war so schön wie Eva.
     
    Billy wurde von dem reizenden Jungen, dem himmlischen Androgynen, auf die Beine geholfen. Und die anderen kamen näher, um Billy den Schnee abzuklopfen, und dann durchsuchten sie ihn nach Waffen. Er hatte keine. Der gefährlichste Gegenstand, den sie bei ihm fanden,

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