Schlachthof 5
war ein fünf Zentimeter langer Bleistiftstummel.
Drei harmlose Pengs ertönten von weit weg. Sie kamen von deutschen Gewehren. Die zwei Männer vom Spähtrupp, die Billy und Weary im Stich gelassen hatten, waren gerade erschossen worden. Sie hatten nach Deutschen auf der Lauer gelegen. Sie waren entdeckt und von hinten erschossen worden. Jetzt starben sie im Schnee, ohne etwas zu fühlen, und unter ihnen färbte sich der Schnee zu der Farbe eines Himbeersorbetts. So geht das.
So war Roland Weary der letzte von den drei Musketieren.
Und Weary, mit angstvoll hervorquellenden Augen, wurde entwaffnet. Der Obergefreite gab Wearys Pistole dem hübschen Jungen. Er staunte über Wearys grausames Nahkampfmesser und sagte auf deutsch, Weary würde zweifellos gern das Messer gegen ihn gebrauchen, um ihm mit den mörderischen Stacheln das Gesicht aufzureißen und ihm die Klinge in den Leib oder den Hals zu stoßen. Er sprach kein Englisch, und Billy und Weary verstanden kein Deutsch.
»Nette Spielsachen hast du da « , sagte der Obergefreite zu Weary und reichte das Messer einem alten Mann. »Ist das nicht ein hübsches Ding? Hmm? «
Er riß Wearys Mantel und Feldbluse auf. Messingknöpfe flogen wie Maiskörner. Der Obergefreite griff in Wearys klaffende Brust, als wollte er ihm sein klopfendes Herz herausreißen, brachte aber statt dessen Wearys kugelfeste Bibel zum Vorschein, die so klein ist, daß man sie in die Brusttasche eines Soldaten, über dem Herzen, stecken kann. Sie ist mit Stahl umkleidet.
Der Obergefreite fand das obszöne Bild von der Frau und dem Pony in Wearys Hüfttasche. »Was für ein glückliches Pony, was? « meinte er. »Hm? Hm? Möchtest du nicht dieses Pony sein? « Er reichte das Bild dem anderen alten Mann. »Kriegsbeute! Es gehört dir, ganz dir, du Glückspilz. «
Dann ließ er Weary sich in den Schnee setzen und seine Kampfstiefel ausziehen, die er dem schönen Jungen gab. Er warf Weary die Holzpantinen des Jungen zu. So waren Weary und Billy nun beide ohne anständige militärische Fußbekleidung und mußten meilenweit — Weary mit seinen Pantinen klappernd und Billy auf und ab, auf und ab hüpfend — marschieren, wobei dieser von Zeit zu Zeit mit Weary zusammenprallte.
»Verzeihung « , sagte dann Billy oder »Entschuldige bitte « .
Schließlich wurden sie in ein Häuschen an einer Weggabelung gebracht. Es war eine Sammelstelle für Kriegsgefangene. Billy und Weary wurden hineingeführt, wo es warm und verraucht war. Ein Feuer zischte und paffte im Kamin. Das Heizmaterial war das Mobiliar. Es gab noch etwa zwanzig andere Amerikaner dort drinnen, die mit dem Rücken zur Wand auf dem Fußboden saßen und in die Flammen starrten — dabei dachten sie, was es zu denken gab, nämlich nichts.
Keiner sprach. Niemand hatte irgendwelche gute Kriegsgeschichten zu erzählen. Billy und Weary fanden einen Platz, wo sie sich hinsetzen konnten, und Billy schlief mit dem Kopf auf der Schulter eines Hauptmanns ein, der nichts dagegen einzuwenden hatte. Der Hauptmann war ein Militärgeistlicher. Ein Rabbi. Ihm war durch die Hand geschossen worden.
Billy verreiste in die Zeit, öffnete die Augen und fand, daß er in die Glasaugen einer jadegrünen mechanischen Eule schaute. Die Eule hing verkehrt herum an einem rostfreien Stahlseil. Die Eule war Billys Optometer in seinem Büro in Ilium. Ein Optometer ist ein Instrument, um Fehler in dem Refraktionsvermögen der Augen festzustellen — um korrigierende Linsen zu verschreiben.
Billy war eingenickt, während er eine Patientin untersuchte, die auf der anderen Seite der Eule auf einem Stuhl saß. Schon vorher war er bei der Arbeit eingeschlafen. Zuerst war es komisch gewesen. Jetzt aber fing Billy an, sich darüber Gedanken zu machen — über seine geistige Verfassung im allgemeinen. Er versuchte, sich zu erinnern, wie alt er war, brachte es aber nicht fertig. Dann wollte er sich ins Gedächtnis rufen, welches Jahr es war. Aber auch daran konnte er sich nicht erinnern.
»Doktor — « , sagte die Patientin zaghaft.
»Ja? « sagte er.
»Sie sind so still. «
»Verzeihung. «
»Sie haben so lebhaft gesprochen — doch dann wurden Sie so still. «
»Hm. «
»Haben Sie etwas Schlimmes gesehen? «
»Schlimmes? «
»Eine Krankheit in meinen Augen? «
»Nein, nein « , wehrte Billy ab, der weiterschlummern wollte. »Ihre Augen sind in Ordnung. Sie brauchen nur eine Brille zum Lesen. « Er sagte ihr, sie solle über den Gang gehen — dort könne
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