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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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den Schlaf gewiegt.

    Die Türklingel erklang. Billy stieg aus dem Bett und schaute durch ein Fenster hinunter auf die Stufe vor der Haustür, um zu sehen, ob jemand Wichtiges gekommen war. Dort unten stand ein verkrüppelter Mann ebenso spastisch im Raum wie Billy Pilgrim in der Zeit. Krämpfe bewirkten, daß der Mann die ganze Zeit flatterte, seinen Gesichtsausdruck ständig änderte, so als versuchte er, verschiedene berühmte Filmstars nachzuahmen.
    Ein anderer Krüppel läutete an einer Türklingel auf der gegenüberliegenden Seite der Straße. Er ging auf Krücken. Er hatte nur ein Bein. Er war so eingeengt zwischen seinen Krücken, daß seine Schultern seine Ohren verbargen.
    Billy wußte, was die Krüppel trieben: Sie verkauften Abonnements für Zeitschriften, die nie geliefert wurden. Die Leute bestellten sie, weil sie Mitleid mit den Vertretern hatten. Billy hatte von diesem Schwindel vierzehn Tage zuvor von einem Redner im Lion's Club — einem Mann vom Better Business Bureau — gehört. Der Mann hatte gesagt, daß jedermann, der in seinem Umkreis einen Krüppel als Zeitschriftenwerber arbeiten sieht, die Polizei verständigen sollte.
    Billy schaute die Straße hinunter und erblickte einen neuen Buick Riviera, der ungefähr einen halben Häuserblock entfernt parkte. Ein Mann saß darin, und Billy nahm mit Recht an, daß er derjenige war, der die Krüppel dazu angestellt hatte, die Sache zu machen.  Billy weinte immer noch, als er die Krüppel und ihren Arbeitgeber betrachtete. Sein Türglockenspiel machte einen Höllenlärm.
    Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. Er weinte noch immer, aber er war jetzt wieder zurück in Luxemburg. Er marschierte mit einer Menge anderer Gefangener. Es wehte ein Winterwind, der ihm die Tränen in die Augen trieb.
     
    Die ganze Zeit, seitdem Billy einem Bild zuliebe ins Gebüsch gestoßen worden war, hatte er Elmsfeuer gesehen, eine Art von elektronischem Strahlenkranz um die Köpfe seiner Kameraden und der Begleitmannschaft. Es war auch auf den Baumwipfeln und den Dachfirsten von Luxemburg. Es war schön.
    Billy marschierte mit hinter dem Kopf verschränkten Händen, und dasselbe taten alle die anderen Amerikaner. Billy hüpfte auf und ab, auf und ab. Jetzt prallte er zufällig in Roland Weary hinein. »Verzeihung « , sagte er.
    Auch Wearys Augen standen voll Tränen. Weary weinte wegen der schrecklichen Schmerzen in seinen Füßen. Die abgetragenen Holzpantinen verwandelten seine Füße in Blutpudding.
    An jeder Wegkreuzung gesellten sich zu Billys Kolonne mehr Amerikaner, die Hände hinter ihren von einem Lichtschein umgebenen Köpfen verschränkt. Billy hatte für alle ein Lächeln. Sie bewegten sich wie Wasser, immer bergab, und sie flossen schließlich zu einer Autobahn in einer Talsohle.  Durch das Tal ergoß sich ein Mississippi gedemütigter Amerikaner. Zehntausende von Amerikanern schleppten sich ostwärts, mit hinter ihrem Kopf verschränkten Händen. Sie ächzten und stöhnten.

    Billy und seine Gruppe vereinigten sich mit dem Strom der Demütigung, und die Spätnachmittagssonne kam hinter den Wolken hervor. Die Amerikaner hatten die Straße nicht für sich allein. Die nach Westen führende Bahn wogte und dröhnte von Fahrzeugen, die deutschen Nachschub an die Front brachten. Der Nachschub bestand aus kräftigen, vom Wind gebräunten, rauhen Männern. Sie hatten Zähne weiß wie Klaviertasten.
    Sie waren mit MG-Patronengurten behängt, rauchten Zigarren und soffen Schnaps. Gierig bissen sie große Stücke von Würsten ab, fuhren mit Handgranaten, die wie Kartoffelpressen aussahen, über ihre schwieligen Handflächen.
    Ein Soldat in schwarzer Uniform verzehrte oben auf seinem Panzer ganz für sich allein den Picknickvorrat eines betrunkenen Helden. Er spuckte auf die Amerikaner. Die Spucke traf Weary an der Schulter, gab ihm eine fourragère von Rotz, Blutwurst, Tabaksaft und Schnaps.
    Billy fand den Nachmittag brennend aufregend. Es gab soviel zu sehen — Panzersperren, Vernichtungsmaschinen, Leichen mit nackten Füßen, die blau und elfenbeinfarben waren. So geht das.
     
    Auf und ab, auf und ab hüpfend strahlte Billy zärtlich ein blaßlila getünchtes Bauernhaus an, das von den Einschlägen der MG-Kugeln genarbt war. In seinem schiefen Türrahmen stand ein deutscher Oberst. Neben ihm war seine Hure, die nicht angemalt war.
    Billy prallte gegen Wearys Schulter, und Weary rief schluchzend: »Geh doch richtig! Geh doch richtig! «
    Sie erstiegen

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