Schlaf, Kindlein, schlaf
genau wusste, wo sie war – und der Abstand zwischen den einzelnen Häusern war größer und größer geworden –, war sie sich einigermaßen sicher, dass sie bald auf die Hauptstraße stoßen würde. Das Wasser musste sich zu ihrer Rechten befinden, hinter den Bäumen, und Beaufort auf der anderen Seite.
Sie schielte etwas nervös auf die Tankanzeige und bemerkte, dass die kleine rote Warnlampe nun konstant aufleuchtete: Zum Teufel, ausgerechnet jetzt musste ihr das Benzin ausgehen. Die Gegend war verlassen, das Wetter schlecht. Es waren mindestens zwanzig Minuten vergangen, seit sie andere Autos gesehen hatte.
Am späten Nachmittag, bevor das Unwetter losgebrochen war, hatte Máire in Richmond Hill in einem ländlichen Restaurant zu Mittag gegessen und anschließend getankt. Ihre Kenntnisse über Autos beschränkten sich darauf, Öl und Wasser nachzufüllen, aber sie weigerte sich zu glauben, dass sie in anderthalb Stunden vierundsechzig Liter Benzin verbraucht oder der Tank ein Loch hatte. Entweder war mit der Benzinanzeige irgendetwas nicht in Ordnung, oder der junge Mann von der Tankstelle hatte sie angelogen, als er sagte, der Tank sei voll. Sie war geneigt, Letzteres zu glauben, und verfluchte ihn im Stillen. Sie drückte das Gaspedal tiefer durch, als wollte sie so weit wie möglich kommen, bevor der Tank leer war.
»Fünfunddreißig Zentimeter freie Höhe unter der Karosserie und Vierradantrieb«, hatte der Autohändler gesagt. Jetzt war sie froh über die hoch angebrachten Achsen und den Vierradantrieb, denn der Fahrweg war inzwischen von Morast und tiefen Pfützen abgelöst worden. Dieser Wagen war für schwierigeres Terrain gebaut, etwa für Unterholz oder Sumpf. Ein gewöhnliches Auto hätte sich im Matsch festgefahren oder auch in den im Weg liegenden Ästen und gewölbten Wurzeln der Eichen, die an manchen Stellen von einer Seite des Fahrwegs zur anderen reichten.
Obwohl das krachende Donnergrollen nur noch als Grummeln zu hören war und die Blitze nur noch gelegentlich am Himmel zuckten, fiel der Regen noch immer in Strömen. Die Scheibenwischer rasten auf höchster Stufe über die Windschutzscheibe, und Máire hatte Mühe zu sehen, wo der Wegesrand endete und der Straßengraben begann.
Sie kniff die Augen zusammen und beugte sich in ihrem Sitz ein kleines Stück vor. Die Landschaft erschien durch die verregnete Scheibe verschwommen und verzerrt. Die Äste der Bäume schlugen im Wind gegeneinander, und hinter den schwarzen Schatten der Stämme konnte sie vage einen Weidezaun aus Stacheldraht ausmachen, der an manchen Stellen umgeknickt war.
Plötzlich bemerkte Máire eine Bewegung zwischen den Bäumen, aber bevor sie erkannte, was es war, stürzte es auf die Fahrbahn. In einem schrecklichen Augenblick wurde ihr klar, dass sie nicht rechtzeitig bremsen konnte.
Trotzdem trat sie auf das Bremspedal, riss das Steuer scharf nach rechts und pflügte durch den Matsch, direkt auf den Graben zu. Das Auto schlingerte, Máire schlug mit dem Kopf gegen das Seitenfenster, und im nächsten Moment merkte sie, wie sie im Sitz hochgeschleudert wurde, so als würde sie zu schnell über eine Fahrbahnschwelle fahren. Danach kam der Land Rover abrupt zum Stehen, und der Motor ging aus.
Der Regen trommelte auf das Autodach, die Scheibenwischer sausten über die Scheibe und Jimmy Buffett begann mit Brown Eyed Girl.
Máire warf einen angstvollen Blick in den Rückspiegel, sah aber nichts als die roten Bremslichter, die sich im Schlamm hinter dem Auto spiegelten … oder war das Blut?
Oh Gott, war es Blut?
Mit laut klopfendem Herzen stieg sie aus dem Wagen. Kalter Regen peitschte ihr entgegen und fühlte sich wie tausend winzige geballte Fäuste an, die ihr ins Gesicht schlugen. Ihre Bluse und ihr Rock wurden vom Wind gegen Rücken und Beine gedrückt und flatterten vor ihrem Körper wie Segel. Ein Schaudern durchfuhr ihre Gliedmaßen, und sie bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper. Die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen drehte sie sich um.
Die Situation glich einem Albtraum. Die Gestalt lag zusammengekrümmt unter einer großen Eiche im Matsch, deren Äste bis zur Erde hinabreichten. Den schlanken Gliedmaßen und dem langen schwarzen Haar nach zu urteilen, musste es sich um ein Mädchen oder eine junge Frau handeln. Sie trug einen knöchellangen Stofffetzen mit abstehender Halskrause, der Máire an ein zerlumptes Totenhemd erinnerte. Der Körper wirkte steif und starr, das Gesicht war verdeckt.
Máire
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