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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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hinab und rann über ihre Finger, die Tropfen sammelten sich in einer kleinen Pfütze um den Ring herum.
    Nie wieder würde sie gemeinsame Nächte mit Jesse erleben, nie wieder würden sie auf der Veranda am Holztisch sitzen und Café au Lait trinken, den Zikaden lauschen und reden, bis die Sonne wieder aufging. Die überwältigende Kraft der Liebe war auf einen übermächtigen Gegner getroffen. Sie musste lernen, damit zu leben, sagte sie sich. Jesse war tot und nicht mehr da, sein Leben war unwiederbringlich vorbei.
    Aber sie lebte weiter, ohne es zu merken, sie vergeudete Tage, Wochen und Jahre. Unterdessen schien es, als hätte sie eine Art Unsterblichkeit in ihrem Leben erlangt, mit dem sie inzwischen recht zufrieden war, aber gleichzeitig war sie dazu verdammt worden, ruhelos und ziellos auf der Erde umherzuwandern, wie ein anderes immaterielles Wesen, ein Geist.
    »Wenn mir nur jemand helfen könnte«, flüsterte sie.
    Máire tauchte ihre Hand ins Wasser und ließ den Ring langsam los. Wie kalt das Wasser war!
    Der Himmel hatte sich über dem Fluss tiefgrün gefärbt, die Sonne war untergegangen und der Ring verlor sich sofort in dem dunklen Wasser, als hätten die Finger eines Phantoms ihn entgegengenommen.
    Kniend warf sie die wilden Blumen auf das Wasser. Leb wohl, Liebster … vergib mir, was ich getan habe und nicht ungeschehen machen kann.
    Eine Feldlerche flog zwitschernd vorbei. So ätherisch wie ein Engel schwebte der kleine Vogel über die Wasseroberfläche, kreiste ein paar Mal neugierig um die Blumen, verlor dann das Interesse und verschwand mit drei raschen Flügelschlägen Richtung Gewitterhimmel.
    Máire war fest entschlossen, auf Selbstmitleid zu verzichten, aber durch ihre Tränen hindurch, die immer weiter strömten, sah sie die Blumen wie winzige bunte Glasglocken auf dem Wasser schwimmen.
    Am Horizont donnerte es, der Regen prasselte nieder, und Máire war so durchnässt, dass ihr langes blondes Haar tropfnass in ihr Gesicht hing.
    Es war Zeit zu gehen.
    Sie starrte noch einmal auf den Fluss und versuchte, Jesses Gesicht für immer festzuhalten, während sie sich mit dem Rücken ihrer nun ringlosen Hand über die Stirn wischte. Dann erhob sie sich, um den Bonaventure-Friedhof zum vierten Mal zu verlassen.
    Und in Gedanken wandte sie sich um und ging, aber tatsächlich hielt sie inne. Sie blieb stehen, bis die Dämmerung in den Abend überging und die Stille von näherkommenden Schritten unterbrochen wurde und eine liebenswürdige Südstaatenstimme sagte: »Der Friedhof schließt in fünf Minuten, Ma’am!«
    Máire schloss die Augen, Tränen rannen ihre Wangen hinab, und sie begann zu schluchzen, dass die Schultern zuckten.

2
     
    Máire fuhr einen Land Rover, schwarz, geräumig und neu. Sie hatte ihn von einem Teil des Geldes gekauft, das sie beim Verkauf von Jesses Haus in New Orleans erhalten hatte. Máire hatte das Haus geerbt und hätte es gerne behalten, aber sie wusste, dass sie es nicht ertragen würde, darin zu wohnen. Es gab viel zu viele Erinnerungen.
    Auf der Rückfahrt nach Charlotte während der Nacht hörte Máire Musik von Jimmy Buffett, der von Margaritaville, unvergesslichen Momenten und der dahingehenden Zeit sang. Sie liebte diese alten rührseligen Songs.
    Sie befand sich auf einem schrecklich holprigen und kurvigen Fahrweg etwa fünfzehn Kilometer nordwestlich von Savannahs Stadtgrenze entfernt – glaubte sie zumindest: Das war das Ergebnis ihres dummen (und bislang missglückten) Versuchs, eine Abkürzung zu nehmen. Sie kannte sich nicht aus, ihr GPS funktionierte nicht mehr, und sie hatte keine Karte. Es gab keine Straßenbeleuchtung, und die Bäume zu beiden Seiten der Fahrspur waren kohlrabenschwarz.
    Die Wettervorhersage im Radio hatte gemeldet, dass der Sturm noch nicht in die Orkankategorie eingestuft worden war, aber es fehlte nicht mehr viel. Er näherte sich mit einer Geschwindigkeit von einhundert Stundenkilometern, und es wurde empfohlen, zu Hause zu bleiben und nicht mehr Auto zu fahren. In Máires Augen glich der Sturm bereits einem Orkan. Hin und wieder wurde ihr Wagen von einer Windböe erfasst, sodass er schlingerte und sie befürchtete, er würde sich überschlagen. Die schmale Fahrbahn war übersät mit abgeknickten Zweigen und größeren Ästen.
    Die dunkle Nacht drückte gegen die Scheibe, aber Máires Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie die Silhouetten der Bäume ausmachen konnte. Und auch wenn sie gegenwärtig nicht

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