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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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misstrauisch, und sie spürte, dass er sie schon als hysterisches Huhn mit außergewöhnlich lebhafter Fantasie abgestempelt hatte.
    »Können wir nicht ein bisschen schneller fahren?«, bat Máire.
    »Wir tun unser Bestes«, gab Bondurant mit seinem singenden karibisch-englischen Akzent zurück. Finch hatte vielleicht ein wenig beschleunigt, aber Máire kam es so vor, als führen sie immer langsamer. Sie biss sich auf die Lippe, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie mit den Zähnen klapperte, und blickte wieder zum Seitenfenster hinaus.
    Sie waren in Garden City in Chatham County – einer kleinen, verschlafenen Vorstadt von Savannah, die sie nur vom Hörensagen kannte. Máire hatte angenommen, dass sie die Richtung nach Savannah eingeschlagen hatte, tatsächlich aber war sie nach Nordwesten gelaufen.
    Der Regen nahm zu, und die asphaltierte Straße war öde und verlassen. Ein paar Masten waren umgestürzt und hatten Strom- und Telefonleitungen mit sich gerissen. Nirgends war Licht zu sehen. Sie fuhren durch ein Geschäftsviertel, aber alle Läden waren geschlossen; einige hatten mit Brettern vernagelte Fenster. Das Neonschild am Kino war schwarz, und der Drugstore auf der anderen Straßenseite lag ebenfalls im Dunkeln.
    Sie erreichten einen Kreisel. Máire strengte ihre Augen an und las die Schilder mit der Aufschrift Central Junction, Rossignol Hill und Sharon Park.
    »Hier entlang …« Máire zeigte fahrig und spürte ihre Ungeduld. Das alles dauerte zu lang, viel zu lang, sie vergeudeten kostbare Minuten. Máire wollte einfach nur weiter. Schnell. Sie versuchte, sich zu beherrschen. »Ich glaube, wir müssen ein bisschen schneller fahren.«
    In den nächsten Minuten kamen sie an der gotisch-viktorianischen Ruine der Kirche und der Gegend mit den verfallenen Häusern und halb bebauten Grundstücken vorbei, die auch Máire hinter sich zurückgelassen hatte. Wie viel Zeit war seitdem vergangen? Eine Ewigkeit, so schien es, auch wenn sicher nur eine knappe halbe Stunde verstrichen war.
    Die drückende Stille zwischen dem periodischen Rauschen des Polizeifunks ließ Máires Angst nur noch weiter anwachsen. Sie schlotterte vor Kälte und fühlte sich unwohl in ihrem schmerzenden Körper und den tropfnassen Kleidern, die wie eine schleimige Schicht auf der Haut klebten.
    Ein paar hundert Meter weiter entdeckte sie in der Ferne die weiße Hängebrücke. »Hier geht’s lang! Hier!« Sie deutete hastig. »Geht es nicht noch etwas schneller?«
    Der Fahrer warf ihr einen Blick zu, beschleunigte und bog kurz darauf von der Hauptstraße ab. Er bog links auf einen unheimlichen, öden Schotterweg, der sich gabelte. Máire erkannte ihn sofort wieder.
    »Und jetzt?«, fragte Finch.
    »Der linke. Der mit der Brücke.« Máires Herz machte einen Satz in ihrer Brust.
    Als sie über die Brücke fuhren, erwartete sie, ihre Verfolger dort stehen und auf sie warten zu sehen. Die Autoscheinwerfer strahlten die hoch aufragenden Stämme der Eichen an, die Barrikaden glichen, so weit das Auge reichte. Aber es war keine Menschenseele zu sehen.
    Der Wagen holperte und hüpfte über Unebenheiten auf dem Fahrweg und rutschte seitlich weg. Finch steuerte dagegen und verlangsamte das Tempo. Er schaltete herunter und sie schlichen mit zehn bis fünfzehn Stundenkilometern vorwärts.
    Zwanzig Minuten später tauchte der Geländewagen vor ihnen auf, dort wo Máire ihn stehen gelassen hatte – ein düsterer Schatten in der Nacht, mit zwei Lichtkegeln an einem Ende. »Es ist da drüben … das ist mein Auto, das da.« Finch stoppte den Polizeiwagen fünfzig Meter von Máires Land Rover entfernt, weil ein entwurzelter Baum den Weg versperrte.
    Máire riss die Tür auf, noch bevor der Wagen ganz angehalten hatte, sprang ins Freie und rannte in die Dunkelheit. Der unablässige Regen klatschte auf ihren Kopf, und sie bemerkte, dass es kälter geworden war. Sie sah sich um und musste sich orientieren. Sie wollte sich genau erinnern, wo sie C.J. zurückgelassen hatte.
    Finch und Bondurant liefen ihr in etwas gemächlicherem Tempo nach.
    Máire hielt abrupt inne und ließ den Blick schweifen. »Hat jemand von Ihnen eine Taschenlampe?«, rief sie.
    Finch kam auf sie zu und reichte ihr seine. »Vorsichtig«, sagte er und zog sich einen Regenschutz über, der einer blauen Persenning glich.
    Máire machte die Taschenlampe an, leuchtete in alle Richtungen und lief auf eine Gruppe Trauerweiden zu. Die Polizisten folgten ihr.
    Das Licht von Máires

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