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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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Taschenlampe streifte einen dicken Baumstamm, dann den Erdboden, danach den nächsten Stamm. Als sie genau wusste, wo sie war, rannte sie schneller und stürzte auf eine mächtige, moosbewachsene Eiche zu, in deren Schutz sie C.J. zurückgelassen hatte. Mehrere kleine Bäume um die Eiche herum waren umgestürzt, und sie sah, dass auch ein dicker Ast abgesplittert war. Sie verlangsamte ihren Schritt, drehte sich orientierungslos um sich selbst und eilte zum nächsten Baum. Zwanzig Meter weiter leuchtete sie wieder, wandte sich um und rief verzweifelt: »Hier ist sie nicht mehr! Sie ist weg!«
    Immer wieder rief sie C.J.s Namen.
    Es kam keine Antwort.
    Vier, fünf Blitze erleuchteten schnell hintereinander den Himmel, und ein eiskalter Windstoß fuhr durch den Wald.
    Totenmänner!
    Ein Schatten bewegte sich und verschwand hinter einem Baum. Máire hatte plötzlich das Gefühl, dass sie irgendwo in der Dunkelheit von dem Gewehrschützen beobachtet wurden. Mit durchgedrücktem Rücken trat sie vor Bondurant und senkte die Stimme: »Sie haben sie gefunden! Jetzt ist sie bestimmt tot! Oh Gott …«
    »Denken Sie doch nicht gleich das Schlimmste. Sind Sie sicher, dass es genau an dieser Stelle war, wo Sie das Mädchen zurückgelassen haben? Die Dunkelheit und der Regen können auch täuschen …«
    »Doch, ich bin mir sicher. Ganz sicher.«
    »Na gut. Wir drehen noch eine Runde. Gehen Sie schon mal zum Polizeiwagen zurück!«
    »Ich kann doch mitgehen … ich kann …«
    »Das ist nicht nötig. Setzen Sie sich im Auto ins Trockene, und beruhigen Sie sich.«
    Sie wollte nicht allein zurückgehen, widersprach aber nicht.
    Bondurant rief zu Finch herüber: »Du gehst da lang«, und zeigte mit seiner Stabtaschenlampe Richtung Osten. Finch tat wortlos, wie ihm geheißen.
    Ein Blitz erhellte für einen kurzen Moment den Himmel und ließ in dem dichten Regen den ganzen Wald mit seinen monströsen Bäumen und skelettartigen Ästen unheimlich erscheinen, so als versteckte sich der Teufel selbst hinter einem Baum.
    Máire wartete im Polizeiwagen, völlig durchnässt, rastlos, mit Herzrasen und einem Kribbeln im Nacken. Die Regentropfen donnerten auf das Autodach wie Marmorkugeln und übertönten den Wind. Das Geräusch war irgendwie anders, melancholischer als sonst, als hätte der Regen seine ganz eigene Trauermelodie … und jeder Tropfen seine eigene schadenfrohe Wasserstimme.
    Du warst zu langsam, Máire.
    Du hast sie im Stich gelassen.
    Du hast sie da draußen im Regen zurückgelassen.
    Allein.
    Du hättest sie mitnehmen müssen.
    Du hättest …
    Sie seufzte und schaute mit verzweifelt suchendem Blick aus dem Fenster auf den dichten Regenteppich. Etwas Goldenes blitzte auf zu ihrer Rechten. Sie holte Luft, und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.
    Der Geländewagen! Oh Gott!
    Vielleicht war C.J. irgendwie wieder zu Kräften gekommen und zum Auto zurückgelaufen, um sich dort zu verstecken? Vielleicht hatte sie sogar versucht zu fahren …
    Máire drückte die Tür auf, noch angstvoller als zuvor. C.J. wäre niemals mit heiler Haut da rausgekommen – nicht bei diesen Typen.
    Máire sprang aus dem Wagen, kniff die Augen halb zu, sprintete mit großen Schritten durch den peitschenden Regen zum Land Rover … und begriff erst jetzt richtig, dass die Scheinwerfer aufgeblendet waren. Dieses Detail hatte sie geistesabwesend auch vorher schon registriert, und obwohl es sich in ihr Unterbewusstsein eingebrannt hatte, war ihr die Bedeutung nicht wirklich klar gewesen.
    Die Einzelheiten der Geschehnisse des Abends waren ihr nicht ganz schlüssig, aber sie war ziemlich sicher, dass sie die Scheinwerfer ausgemacht hatte. Sie versuchte, sich zu erinnern, und schüttelte den Kopf. Es war ganz einfach eine Frage der Logik. Mit aufgeblendeten Scheinwerfern wäre das Auto aufgefallen wie eine Kirsche auf einer Sahnetorte. Sie hatte die Scheinwerfer ausgemacht. Ganz bestimmt hatte sie das. Sie musste es getan haben. Also mussten C.J. oder ihre Verfolger nach ihr in ihrem Auto gewesen sein.
    Máire stand ganz still und lauschte in den Regen. C.J.s verzweifelte Schreie hallten in Máires Erinnerung wider, aber es drang auch noch ein anderes Geräusch in ihr Bewusstsein, hell wie eine kleine Silberglocke. Máire merkte, wie ihre Anstrengung sich bis in ihre Nervenbahnen fortsetzte. Sie riss die Tür auf. Neben der Sonnenbrille auf dem Armaturenbrett lag ihre Tasche. Dann entdeckte sie das Mobiltelefon am Boden. Es steckte nicht mehr im

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