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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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erlebt hatte. Und wenn sie die Beherrschung verlor, wäre das für nichts und niemanden hilfreich.

6
     
    Das Büro des Detectives lag im hinteren Teil des Gerichtsgebäudes im Parterre. Die großen, mit Terrazzo gefliesten Räume bestanden hauptsächlich aus aneinandergereihten Schreibtischen und Archivschränken. Bondurant öffnete eine Tür mit geschliffenem Glas und ließ Máire den Vortritt. Ein uniformierter Polizist stand vorn neben einem Schrank in dem klimatisierten Raum, hinter ihm und einer dünnen Glasscheibe saßen vier Männer vor ihren Computerbildschirmen. Zwei von ihnen sahen beiläufig auf, als Máire, Finch und Bondurant eintraten.
    Máire nickte grüßend und heftete ihren Blick auf Bondurant. Sein Gesicht und sein Haar glänzten silbrig vom Regen, und seine Kleidung war so durchnässt, dass es schien, als hätte er sich mit einem Gartenschlauch abgespritzt. Wasser tropfte aus seinen Kleidern auf den Boden. Máire war genauso tropfnass. »Darf ich mal Ihre Toilette benutzen?«, fragte sie.
    Bondurant deutete ihr mit einer Kopfbewegung an, in welche Richtung sie gehen sollte. »Hier entlang.« Ein Korridor auf der linken Seite führte zu weiteren Büros, und am Ende war eine Tür angelehnt, die zum Parkplatz mit den Polizeiwagen führte.
    »Hier.« Bondurant legte ihr eine schwere Hand auf die Schulter und ließ Máire in sein Büro eintreten. »Hier drinnen ist es bequemer.« Ein paar Neonröhren warfen ihr grelles Licht auf einen Schreibtisch, der mit Akten beladen war.
    »Die Toilette ist da drüben.« Bondurant zeigte auf eine Schiebetür zu seiner Linken. Er war an die zwei Meter groß, massig und hatte breite Schultern. Finch wirkte neben ihm wie ein Schuljunge in seinem Regencape. »Sie können auch trockene Kleider von uns bekommen. Brauchen Sie sonst noch was?«
    »Nein danke.« Ihre Haut brannte, und sie vermied es, ihre nasse Kleidung zu berühren. »Was ist mit meinem Wagen?«, fragte sie.
    »Wir bringen ihn zurück, wenn Sie uns die Schlüssel geben.«
    Máire reichte ihm ihre Schlüssel.
    Bondurant sagte mit einem Nicken zu Finch: »Sieh zu, ob du ein paar Aspirin und einen trockenen Trainingsanzug auftreiben kannst … und jemanden, der das Auto holt.« Dann warf er Finch die Schlüssel zu.
    »Alles klar!« Finch ging.
    Bondurant und Máire schwiegen. Sie spürte, dass er sie von der Seite musterte.
    »Werden Sie eigentlich Sheriff, Detective oder Kriminalkommissar genannt?«
    »Police Detective … Luis oder Bondurant. Sie haben die Wahl.« Er hatte einen sanften Tonfall und lächelte zum ersten Mal. »Geht das für Sie in Ordnung, wenn ich mir ein trockenes T-Shirt anziehe?«
    Máire nickte. »Ja, sicher.«
    Bondurant kehrte einen Augenblick später mit einem Polizisten in Zivil wieder zurück, der Máire an eine verwachsene Ausgabe von Don Johnson erinnerte. Sein Haar war entweder nass oder mit einer Art Haarwachs zurückgekämmt. Er grüßte mit einem kurzen Kopfnicken und hatte eine Tablettenschachtel, einen Erste-Hilfe-Kasten, zusammengefaltete Kleider sowie einen Stapel Handtücher im Arm. »Bitte sehr. Ich hoffe, die passen. Brauchen Sie Hilfe mit Ihrem Knie?«, fragte er und nickte in Richtung ihres verletzten Beines.
    Máire schüttelte den Kopf. »Das geht schon.«
    »Das ist Jim Cooper«, erklärte Bondurant und lächelte. »Er ist unser Medizinmann. Lassen Sie ihn ruhig einen Blick drauf werfen. Er kennt sich mit solchen Sachen aus.« Bondurant hatte sich die Haare getrocknet und trug nun ein kurzärmeliges Hemd, eine Kakihose und Wildlederschuhe.
    »Kein Problem. Ich mach das schon.«
    Máire hatte es abgelehnt, sich im Ambulanzzimmer behandeln zu lassen, und hinkte stattdessen nun auf die Toilette.
    Sie kehrte der Tür den Rücken, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen in dem Versuch, die Welt für einen Augenblick zu vergessen und ihre Angst und unguten Befürchtungen zu verringern. Aber ihr schwirrte der Kopf von all den Spekulationen. Das, was sie erlebt hatte, war Wirklichkeit und klar wie Glas, und doch kam es ihr nun völlig unwirklich vor.
    Einen Moment lang versuchte Máire, sich auf die Geräusche der Nacht zu konzentrieren und ihre Gedanken auszublenden. Sie hörte den Regen gegen die Scheibe prasseln wie ein dumpfes Trommelsolo. Aber der Donner, der in der Ferne über Garden City hinwegrollte, erinnerte sie an C.J.s Schreie, und der leere Blick in ihren starren Augen holte sie wieder ein.
    Máire atmete tief ein, hob den Kopf und drückte einen

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