Schlaf, Kindlein, schlaf
würde sie das Horrorhaus aus Amityville betreten. Efeu rankte bis unter die Decke und suchte sich seinen Weg auf den vergammelten olivfarbenen Tapeten, als wollten sich die festen Blätter strecken und nach ihr fassen. Aber Pflanzen versuchen nicht, einen zu fangen, und Häuser sind nicht böse, redete sie sich ein und schob die Vorstellung beiseite.
Der Kronleuchter mit den baumelnden Prismen und zwanzig Glühbirnen, den sie von außen schon gesehen hatte, schwebte über ihrem Kopf, aber sie suchte nicht nach dem Lichtschalter. Das Licht würde jeden Winkel von hier bis nach Savannah ausleuchten, dachte sie. Ein Windstoß brachte die Prismen leise zum Klirren – ein unheimliches, kaltes Geräusch, das sie an das Klangspiel erinnerte und ihren Herzschlag beschleunigte.
Das Haus war groß. Rechts und links ging jeweils ein Zimmer von der Diele ab, ein drittes lag direkt vor ihr. Die Flügeltüren standen offen, und sie konnte zwei dunkle Sofas ausmachen, die sich gegenüberstanden, sowie einen weißen Kamin, der sich in der Dunkelheit verlor.
Sie schob sich vorsichtig in das Zimmer, das direkt vor ihr lag: Der Raum war lang und schmal. Selbst in seinem verfallenen Zustand war er sonderbar, und der weiße Marmorkamin schimmerte schwach. Die Wände waren vollkommen kahl, abgesehen von zwei Reihen mit Spiegeln, die sich über den Sofas gegenseitig kühl und düster in ihrem angelaufenen Glas spiegelten.
Von dem Zimmer zweigte quer ein enger Korridor ab. Die WC-Tür war angelehnt. Sie stieß sie vorsichtig auf und stellte fest, dass niemand darin war. Sie schlich rasch und lautlos die Treppe hinauf und versicherte sich, dass auch im Mansardenzimmer niemand war, dann ging sie wieder hinunter.
Sie blieb stehen und sah sich um.
Noch immer allein, noch immer kein einziger Laut, abgesehen von einem Wasserhahn, der irgendwo tropfte.
Am Ende des Korridors befand sich eine schmale Tür, vermutlich die Kellertür. Sie drückte die Klinke hinunter. Abgeschlossen. Verdammt! Wenn sie da rein wollte, musste sie auch diese Tür aufbrechen. Sie sah sich nach einem Schlüssel um. Fucking Nancy Drew! Sie überlegte. Trotz allem machte sie sich schlicht strafbar durch das Betreten von Privatgrund, widerrechtliches Eindringen in Privateigentum und Sachbeschädigung. Sie fluchte innerlich. Und sie verschwendete kostbare Zeit. Entweder blieb sie hier stehen und jammerte wie eine schrullige Alte oder …
Der nächste Schritt war zwar keiner, den die Heldin aller kleinen Mädchen und Superdetektivin Nancy Drew gemacht hätte, aber Máire entschied, da sie sich ohnehin schon tief genug hineingeritten hatte und nun ebenso gut auch gegen die Gesetze verstoßen konnte, die sie bisher noch befolgt hatte.
Sie holte mit der Axt aus, und schon beim zweiten Schlag durchdrang die Klinge die Tür. Sie steckte die Hand durch das Loch, öffnete das Schloss und tastete nach dem Lichtschalter, doch das Licht war offenbar kaputt. Sie stellte die Axt an die Wand und machte ihre Taschenlampe an.
Eine schmale Treppe führte nach unten. Sie konnte einen schwachen Geruch in der Nase spüren, der ihr vage bekannt vorkam und der Luft eine gewisse Schärfe verlieh. Aber es war nicht der Parfümduft oder der Geruch nach alten Möbeln, diesmal nicht, da gab es keinen Zweifel. Sie wusste, wie der Tod roch. Und wie Chemikalien rochen. Máire fuhr zusammen, und ihr Herz begann so schnell zu schlagen, dass das Blut in ihren Ohren rauschte.
Sie stieg die wackligen Stufen hinab, kam unten an und sah sich um. Das Fundament bestand aus Backstein, ebenso wie der Boden. Ein langer Bogengang, offenbar ohne Fenster und Türen, verlor sich in der Finsternis und verlief, soweit sie sehen konnte, über die gesamte Länge des Gebäudes. Die Decke war unangenehm niedrig. Und der Gang bot zahllose geeignete Verstecke. Das Problem war, dass sie nicht den ganzen Keller überblicken und die beunruhigende Vorstellung verscheuchen konnte, dass er jeden Moment zurückkommen konnte. Dann wäre sie hier unten gefangen.
Ihre Stirn war schweißfeucht, als hätte sie Fieber, und sie hatte den Eindruck, dass dünne Spinnweben an ihrem Gesicht kleben blieben.
Sie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, damit ihr die Tropfen nicht in den Augen brannten, als sie ein leises Knacken hörte.
Máire erstarrte und hielt den Atem an. Sie ließ den Lichtkegel kreisen, entdeckte jedoch nichts. Hatte sie das Geräusch gemacht, hatte bei einer Bewegung ihre Kleidung
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