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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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Temperatur um zehn Grad gefallen und der Himmel leuchtete blauschwarz über den krummen Bäumen. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte zwanzig Minuten nach zehn. Máire fuhr langsam vorbei. Ihre Handflächen waren warm und schweißnass, und ihr Herz pochte laut in ihrer Brust. Sie machte die Scheinwerfer aus, nahm den Gang heraus und ließ den Wagen lautlos die dunkle Auffahrt hinunterrollen, bis er zwischen den Bäumen verschwand. Sie klopfte leicht auf ihre Tasche, um sicherzugehen, dass Messer und Mobiltelefon noch da waren, und suchte im Handschuhfach nach der Taschenlampe. Sie fand sie, prüfte, ob sie funktionierte, und stieg aus.
    Der Wind wirbelte mit einem Flüstern ein paar trockene Blätter durch die Luft, sonst herrschte drückende Stille, die jeden Augenblick zu bersten drohte, und eine Welle der Angst spülte über Máire hinweg. Das spanische Moos in den Eichen sah aus wie lange faserige Gazestreifen, die plötzlich zum Leben erweckt worden waren und sich gequält zwischen den knotigen Ästen wanden. Sie schluckte und zwang sich, normal zu atmen, während sie den Blick von den Bäumen zum Haus wandern ließ.
    Dunkel lag es da, und es war niemand zu sehen. Die Fensterläden waren geschlossen, und sie konnte die leisen einsamen und kalten Töne des Klangspiels erahnen, die vom Wind an ihr Ohr getragen wurden. Sie schauderte.
    Vorsichtig probierte sie die Haustür – natürlich verschlossen. Sie knipste die Taschenlampe an und richtete den Lichtkegel auf das kleine schmutzige Fenster in der Haustür. Sie konnte einen prachtvollen venezianischen Kronleuchter mit angelaufenen Prismen erkennen, die matt unter der Decke schimmerten, und auf der Kommode stand eine große Schale mit fauligem Obst. Ein Fliegenschwarm flog auf, als das Licht die Insekten streifte, dann landete er wieder.
    Máire dachte nach, dann betätigte sie den rostigen Türklopfer und griff mit der anderen Hand nach dem Messer in ihrer Tasche. Sie wartete, dann klopfte sie noch einmal. Das Geräusch hallte in der Stille wider.
    Nichts.
    Es war niemand da.
    Sie ging ums Haus herum, rüttelte an Fenstern und Türen in der Hoffnung, dass er irgendwo vergessen hatte abzuschließen.
    Das war nicht der Fall.
    Aber ihr war ein Glaskasten mit einer Brandaxt und einem Feuerlöscher an der Wand aufgefallen. Vor der Veranda lag ein großer Stein im Gras. Sie holte ihn und zerschlug die Scheibe damit. In der Stille klirrte es glockenhell.
    Mit zitternden Händen griff sie nach der Axt.
    Was machst du hier eigentlich?, dachte sie. Noch bevor sie sich ihre Frage beantwortete, ließ sie die Axt gegen die Tür sausen. Nach ein paar Schlägen klaffte ein Loch um das Türschloss herum, und ein letzter kräftiger Schlag ließ die Tür mit einem Knall nach innen fliegen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte sie, während der Ernst der Lage sich über sie legte wie ein Steindeckel auf ein Grab.
    Sie blieb im Türrahmen stehen, starrte in die Dunkelheit und lauschte nach Geräuschen oder Schritten. Hielt Ausschau nach wachsamen Geistern bei ihrer Nachtwache. Aber nichts rührte sich. Es war totenstill, fast als würde die Stille wie unsichtbare Wellen in der feuchten Luft wogen. Sie wartete ein paar Minuten. Noch immer kein einziges Scharren, Klicken oder Rascheln.
    Als sie eintrat, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Vorsichtig machte sie die Tür hinter sich zu. Wenn tatsächlich jemand hier war, wäre sie wirklich in Schwierigkeiten. Aber es war so still, dass sie jemanden hätte atmen hören können, und sie war sich einigermaßen sicher, dass sie allein war. Hier gab es nur Stille und Dunkelheit. Sie hätte natürlich ein bisschen weiter denken sollen.
    Von der schönen Diele führte eine breite Treppe nach oben und teilte sich, sodass an jeder Wandseite Stufen verliefen. Aber das Haus hatte schon bessere Tage gesehen. An einigen Stellen war das Fliesenmosaik des Bodens gesprungen, oder Teilstücke fehlten, die Tapeten hatten Schimmelflecken, und die Kanten lösten sich.
    Es roch feucht und modrig, vermengt mit dem schwachen Duft eines bekannten Parfüms: Fleur du Mâle. Obwohl es ein Herrenduft war, benutzte Máire ihn bisweilen selbst. Hier waren all die gewöhnlichen Dinge eines bewohnten Hauses versammelt, die ihren eigenen abgestandenen Geruch verströmten, aber es roch außerdem irgendwie schlecht, als würde das Haus nach Fieber stinken und am Bösen kranken. Sie blickte nach oben, und ein furchterregender Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Es war, als

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