Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
sanft wie zu einem Baby. » Tu-ra-lu-ra-laru …Tu-ra-lu-ra-lu-ra …«
Ich weiß nicht, warum mir gerade dieses Lied eingefallen ist. Ich konnte mich nicht erinnern, dass meine Mutter es je gesungen hatte. Vielleicht habe ich gedacht, dass Sheenas Mutter es ihrer Tochter vorgesungen haben könnte, dass das Lied irgendetwas tief im Unterbewusstsein Vergrabenes aufwühlen und das Mädchen an eine Zeit erinnern könnte, in der sie sich geschützt und geborgen gefühlt hatte und ihr nichts Böses widerfahren konnte.
» Tu-ra-lu-ra-lu-ra-lu «, sang ich, und meine Stimme wurde mit jeder Wiederholung der einfachen Melodie kräftiger. » Tu-ra-lu-ra-lu .«
Sheena rührte sich nicht.
» Tu-ra-lu-ra-lu … das ist ein irisches Schlaflied, Sheena«, flüsterte ich.«
»Und es ist wunderschön«, sagte eine Männerstimme von der Tür.
Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer es war. Ich schluckte die letzten Töne hinunter und hoffte, dass
mein Gesicht mich nicht verraten würde, als ich mich schließlich umwandte. Josh Wylie stand, groß und auf eine fast nachlässige Art gut aussehend, mit grau meliertem Haar und den blauen Augen seiner Mutter, in der Tür und beobachtete mich. »Wie lange stehen Sie schon da?«
»Lange genug, um zu hören, dass Sie eine wunderschöne Stimme haben.«
Ich stützte mich auf Sheenas Bett ab, als ich mich erhob. »Danke.« Mein Herzschlag stotterte, als ich den Raum durchquerte, während meine Knie überraschend fest waren. Josh Wylie trat in den Flur zurück, und ich schloss Sheenas Zimmertür hinter mir.
»Was ist mit ihr los?«, fragte Josh, als wir gemeinsam den Flur hinuntergingen.
Ich berichtete ihm die brutalen Details des Überfalls. »Sie liegt im Koma. Ihre Augen sind offen, aber sie sieht nichts.«
»Wird sie immer so bleiben?«
»Das weiß niemand.«
»Wie traurig.« Josh schüttelte bekümmert den Kopf. »Und wie geht es meiner Mutter?« Er lächelte, und der Schwung seiner Lippen betonte das Funkeln in seinen Augen. »Ich habe gehört, Sie haben ihr die Haare geschnitten.«
»Nur hier und da ein bisschen, aber es scheint ihr zu gefallen.«
»Sie ist ganz verzückt. Sie ist Ihretwegen ganz verzückt«, betonte Josh. »Sie meint, dass Sie ungefähr das Großartigste seit der Erfindung von geschnittenem Brot sind.«
»Das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit.«
»Sie meint, bei meinem nächsten Besuch sollte ich Sie zum Essen ausführen.«
»Was?«
»Mittagessen am kommenden Freitag. Wenn Sie frei haben. Und Hunger …«
»Ich habe immer Hunger«, sagte ich und war dankbar, als
er lachte. »Mittagessen am nächsten Freitag klingt großartig.« Ich musste an Alison denken, zwei unerwartete Einladungen an einem Tag.
»Okay, das wäre also abgemacht, nächsten Freitag.« Wir hatten den Schwesterntresen erreicht. »Bis dahin überlasse ich meine Mutter Ihren tüchtigen, kreativen Händen.«
»Fahren Sie vorsichtig«, rief ich Josh nach, als er in den wartenden Fahrstuhl trat.
»Und keine Schwestern-Uniform. Das ist kein dienstliches Essen.« Er winkte mir zu, während die Tür langsam zuging.
Das ist kein dienstliches Essen , wiederholte ich stumm, während ich im Geist bereits meinen Kleiderschrank durchging, um zu entscheiden, was ich anziehen oder ob ich mir etwas Neues gönnen sollte. Erst in diesem Moment bemerkte ich den kleinen Aufruhr hinter mir. »Probleme?«, fragte ich, drehte mich um und sah, wie Margot und Caroline den ganzen Empfangstresen absuchten.
»Carolines Portemonnaie ist aus ihrer Handtasche verschwunden«, sagte Margot.
Ich trat zu ihnen hinter den Tresen und schloss mich der Suche an. »Ganz sicher? Du hast es nicht vielleicht in die Hosentasche oder sonst wohin gesteckt?«
»Ich habe schon überall nachgesehen«, stöhnte Caroline und strich sich das kinnlange, braune Haar aus ihrem länglichen Gesicht, bevor sie ihre Handtasche auf den Fußboden entleerte. Caroline sah schon an guten Tagen immer leicht deprimiert aus, doch jetzt wirkte sie regelrecht verzweifelt.
»Vielleicht hast du es in einer anderen Handtasche gelassen. Das ist mir auch mal passiert«, versuchte ich lahm, sie zu trösten, obwohl mir nichts dergleichen passiert war.
»Nein, heute Morgen hatte ich es noch. Das weiß ich genau, weil ich mir unten eine Tasse Kaffee und ein Plunderteilchen gekauft habe.«
»Vielleicht hast du es beim Bezahlen liegen lassen.«
Caroline schüttelte den Kopf. »Ich bin mir ganz sicher, dass ich es wieder in meine Handtasche
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