Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
»Aber es ist wirklich nicht nötig, dass du mich zum Essen einlädst.«
    »Selbstverständlich lade ich dich ein«, erklärte Alison. »Ich möchte es. Als Dankeschön für alles, was du für mich getan hast.«

    »Ich hab doch gar nichts gemacht.«
    »Du machst wohl Witze? Du hast mir die schönste Wohnung der Welt vermietet, du hast mir Essen gekocht und mir das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Du hast dich sogar um mich gekümmert, als ich krank geworden bin. Ich stehe tief in deiner Schuld, Terry Painter.«
    »Du schuldest mir gar nichts außer der Miete«, erwiderte ich, um Distanz bemüht, während ich gleichzeitig spürte, wie ich widerwillig wieder in ihre Umlaufbahn gezogen wurde und ihrem Bann erlag. Du hast mir die schönste Wohnung der Welt vermietet . Wer sagt so etwas? Wie soll man da nicht verzaubert sein?
    Und worüber machte ich mir außerdem solche Sorgen? Was hatte ich von jemandem wie Alison ernsthaft zu befürchten? Selbst wenn man vom Schlimmsten ausging und annahm, dass sie eine gerissene Betrügerin war, worauf sollte sie es abgesehen haben? Ich habe kaum materielle Reichtümer – mein kleines Haus, das Gartenhäuschen, unbedeutende Ersparnisse und die alberne Kopfvasensammlung meiner Mutter. Na und? Kleinkram, alles zusammen. Wir waren schließlich in Florida, Herrgott noch mal. Vierzig Minuten weiter nördlich lagen die Strandvillen von Palm Beach und Hobe Sound, vierzig Minuten weiter südlich die Paläste des berüchtigten South Beach von Miami. Florida, das bedeutete Geld, reiche alte Männer, die nur darauf warteten, von hübschen jungen Mädchen ausgenutzt zu werden. Das hielt sie doch am Leben, verdammt noch mal. Es würde keinen Sinn ergeben, dass Alison ihre Zeit mit mir vergeudete.
    Heute ist mir klar, dass es Zeiten gibt, in denen unser Verstand sich schlicht weigert, die Indizien vor unseren Augen zu erkennen, weil unsere Sehnsucht nach Selbsttäuschung unseren Selbsterhaltungstrieb überlagert. Ganz gleich, für wie alt und weise wir uns halten, wir glauben doch nie wirklich
an unsere eigene Sterblichkeit. Und seit wann muss irgendwas einen Sinn ergeben?
    »Also abgemacht?« Alisons breites, schräges Grinsen strahlte mich erwartungsvoll an.
    »Abgemacht«, hörte ich mich antworten.
    »Super.« Sie drehte sich einmal im Kreis, sodass der Rock ihres Kleides sich um ihre Knie bauschte. »Hast du irgendwas Bestimmtes im Sinn?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich lasse mich überraschen.« Sie rieb mit dem Finger über das goldene Herz an ihrem Hals. »Ich liebe Überraschungen.«
    Wie auf Stichwort ging in diesem Moment der Feueralarm los, ein falscher Alarm, wie sich herausstellen sollte, doch in den wenigen Minuten, bis wir uns vergewissert hatten, dass alles in Ordnung war, regierte das blanke Chaos. Nachdem ich mehrere panische Patienten beruhigt hatte, dass die Klinik keineswegs drohte, sich in ein flammendes Inferno zu verwandeln, kehrte ich zum Schwesterntresen zurück. Alison war verschwunden.
    »Alles okay?«, fragte Margot.
    »Mr. Austin hat mir erklärt, dass er, Feuer oder nicht, ohne seine Zähne nirgendwohin gehen würde«, berichtete ich lachend und stellte mir dazu den streitbaren alten Mann aus Zimmer 411 vor.
    »Hübsches Mädchen, mit dem du vorhin geredet hast«, bemerkte Margot.
    »Meine neue Mieterin.«
    »Ach ja? Na, hoffentlich hast du diesmal mehr Glück.«
     
    Die nächste Stunde verging relativ friedlich, das heißt ohne Feueralarm und unerwartete Besucher. Nach einem kurzen Mittagessen in der Cafeteria war ich pausenlos damit beschäftigt, hier und da den Puls zu messen, Schmerzmittel zu verteilen, Patienten zum Bad und zurück zu begleiten und
sie zu trösten, wenn sie mit ihrem Schicksal haderten. Irgendwann stand ich unvermittelt vor Sheena O’Connors Zimmer, das ich nach kurzem Zögern betrat.
    Das Mädchen lag auf ihrem Bett und starrte mit angstvoll aufgerissenen Augen zur Decke. Sah sie den Mann, der sie vergewaltigt, sinnlos auf sie eingeschlagen und dann vermeintlich tot hatte liegen lassen? Ich trat an ihr Bett und berührte vorsichtig ihre Hand, doch wenn sie etwas spürte, ließ sie es durch nichts erkennen. »Alles in Ordnung«, flüsterte ich. »Jetzt bist du in Sicherheit.«
    Ich zog mir einen Stuhl ans Bett und setzte mich neben sie, als mir plötzlich die Worte eines alten Schlaflieds durch den Kopf schwirrten. Ich brauchte einen Moment, bis mir auch die dazugehörige Melodie einfiel, und ehe ich mich versah, sang ich leise und

Weitere Kostenlose Bücher